„Ich will nicht immer mit meinem Geschlecht auftauchen."
Gendern für mehr Präzision?
Christine Olderdissen hat Jura studiert und war als Fernseh-Journalistin tätig, bevor sie 2019 die Projektleitung von Genderleicht übernahm. Das Projekt unterstützt Medienschaffende mit Impulsen und Hilfestellungen dabei, ihren Arbeitalltag gendersensibel zu gestalten.
Julia Ruhs hat Demokratiewissenschaften studiert und ein Volontariat beim Bayerischen Rundfunk absolviert. Seitdem ist sie als Reporterin in der Landespolitik-Redaktion tätig. 2021 äußert sie sich im ARD-Mittagsmagazin kritisch gegen das Gendern und erhielt dafür mediale Aufmerksamkeit.
Karl Albrecht hat mal gesagt: „Ändere deine Sprache und du änderst deine Gedanken.“ Frau Ruhs, wie stehen Sie in Bezug zum Gendern dazu?
Ruhs: Die Medien sollten nicht mit der Absicht gendern, die Gedanken der Zuhörer und Zuschauer zu verändern. Das käme von oben herab. Außerdem: Ich zweifle daran, dass wir die Realität mit Gendern wirklich so stark verbessern können, dass es diesen großen Eingriff in die Sprache rechtfertigt. Wir müssen eher die wirklichen Probleme angehen. Zum Beispiel, dass Frauen schlechter bezahlt werden, oder sich nicht trauen, zu verhandeln. Sowas hat nachher einen viel größeren Einfluss darauf, wie geschlechtergerecht unsere Gesellschaft ist.
Frau Olderdissen, was sind Ihre Gedanken dazu?
Olderdissen: Mir geht es beim Gendern um Präzision – gerade im Journalismus. Wenn ich weiß, ich berichte über eine Gruppe von Frauen und Männern, muss ich auch die Frauen benennen. Das Prinzip der deutschen Sprache ist, dass wir das Geschlecht sichtbar machen: männlich und weiblich. Und daher kommt auch die Idee mit dem Sternchen: Die Menschen sichtbar machen, für die wir eigentlich kein so einfaches, kurzes Wort haben. Trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen. Es ist eine Frage des Respekts, dass diese Menschen genauso erwähnt werden. Das Sternchen macht uns aber Probleme in der Sprache, grammatische Probleme, ganz klar.
Frau Ruhs, als Frau zählen Sie zu einer Gruppe, die auch mit benannt werden soll. Warum sind Sie als Teil dieser Gruppe gegen das Gendern?
Ruhs: Ich will nicht immer mit meinem Geschlecht auftauchen. Für mich ist es okay, wenn jemand sagt: „Das sind lauter Journalisten.” Es kommt in diesem Fall ja nur auf den Beruf an.
Ich bin Fan davon, dass man so wenig wie möglich auf das Geschlecht verweist und einfach einen Begriff für alle hat. Für mich ist die generische Form, die oft als generisches Maskulinum bezeichnet wird, am tauglichsten. Die müsste man auch nicht ändern. Wenn wir dahin kommen würden, dass wir uns alle unter dem Wort „Bürger“ wiederfinden, fände ich das am schönsten.
Olderdissen: Ich kann das Unbehagen von Julia Ruhs verstehen, dass wir keinen Oberbegriff haben, der für uns alle funktioniert. Das Problem am generischen Maskulinum ist, dass es sich um ein Maskulinum handelt. Dadurch entsteht oft die Frage: „Sind jetzt nur Männer da?“ Wir können dem Maskulinum in der generischen Funktion nicht mehr vertrauen. Wenn ich sage: „Da waren zwei Vertreter“, muss ich im Prinzip sagen: „Das waren Hans und Martin“, um klarzumachen, es waren wirklich zwei Männer.
Wir müssen lernen, wann eine Beidnennung gut ist und wann die generische Form verwendet werden kann. Eine andere Lösung ist, möglichst viele geschlechtsneutrale Wörter zu nutzen. Also zum Beispiel von Studierenden zu sprechen. Damit sind alle gemeint, ob eine „Sternchenperson”, ein maskuliner Mensch oder ein weiblicher Mensch.
Frau Ruhs, Sie benutzen in Ihren Texten wahrscheinlich keine Genderzeichen. Achten Sie in einer anderen Weise darauf, dass Ihre Beiträge inklusiv und vielleicht auch gendersensibel gestaltet sind?
Ruhs: Bei meiner Arbeit ist Aktualität wichtig. Da habe ich nicht viel Zeit für Beiträge, jede Sekunde ist wertvoll. Im linearen Programm des BR soll man nicht mit Sternchen und Unterstrich gendern, sondern Doppelnennungen nutzen. Das kontrolliert aber niemand. Deswegen: Ich benutze keine Doppelnennung. Nur, wenn es auf das Geschlecht ankommt, sonst nehme ich die generische Form. Für mich ist das gerecht.
Das Gendern bietet eine Möglichkeit, sich mit gewissen Menschen und Gruppen solidarisch zu zeigen. Frau Olderdissen, ist das Gendern für Sie eine Art, sich politisch zu positionieren?
Olderdissen: Da müssen wir ganz genau differenzieren. Erst einmal heißt Journalismus neutral sein und über die Dinge zu berichten, wie sie sind. Das andere ist Meinung. Und das dritte ist Aktivismus. Viele von uns sind inzwischen auf der aktivistischen Seite. Das ist nicht immer gut. Erstmal geht es um Faktenvermittlung und da muss ich eine möglichst neutrale, informative Sprache verwenden. Klar, will ich auch Menschen eine Sichtbarkeit vermitteln, die bisher nicht so sichtbar waren.
Ein Beispiel: Eine konservative Zeitung führt ein Interview mit einer non-binären Person zum Christopher-Street-Day oder ähnlichem. Wenn diese Person dann mit dem Glottisschlag, also dieser Mini-Pause spricht, finde ich es gut, wenn die Zeitung das auch genau so präsentiert. Weil sie normalerweise nicht gendert, kann sie den Sachverhalt unter dem Interview erklären.
Frau Ruhs, in einem Cicero-Interview haben Sie sich dagegen ausgesprochen, dass Aktivismus Einzug in den Journalismus hält. In welchen Bereichen sehen Sie diesen Aktivismus?
Ruhs: Im Volontariat ist mir aufgefallen, dass ich konservativer gesinnt bin als die anderen Volontäre. Für mich war vieles, was die anderen in ihren Beiträgen gemacht haben, schon aktivistisch. Wenn man das Ansinnen hat zu gendern, um Gruppen gleichberechtigt vorkommen zu lassen, überschreitet das für mich oft die Grenze hin zu einem politischen Statement in einem Beitrag. Ich habe den Eindruck, es ist zu einer Art politischen Positionierung geworden, wenn ich die Sprache so oder so wähle.
Verprellt man mit dem Thema „Gendern“ nicht Leute, die man eigentlich erreichen möchte?
Olderdissen: Wir haben zwei, drei Jahre intensiv über das Gendern debattiert. Das Gendern wurde in Verruf gebracht und zu wenige haben sich bemüht, wirklich zu erklären, worum es geht und was gut daran ist. Deswegen ist es auch so ein Einfallstor für Rechtspopulisten, die das Wort „Gendern“ als politische Waffe einsetzen.
Ruhs: Ich finde es wichtig, dass man das Thema nicht der AfD überlässt. Ich merke zum Beispiel, dass viele in der Union anfangen zu gendern und das können sie machen, wie sie wollen. Aber wenn plötzlich die AfD die einzige Partei ist, die gegen das Gendern feuert, wird sie immens viele Wählerstimmen wegen diesem aufgeheizten Thema bekommen. Deswegen finde ich es gut, wenn sich auch Leute in anderen Parteien, denen man es nicht zutrauen würde, kritisch gegenüber dem Thema äußern.
Sind Journalist*innen als Muliplikator*innen in Ihren Augen Vorbilder, Frau Ruhs? Und wenn ja: Wie kann man diese Rolle im Sprachgebrauch oder für mehr Gleichberechtigung ausfüllen, wenn man vom Gendern absieht?
Ruhs: Wir sind niemand, der die Bevölkerung erziehen soll. Deswegen weiß ich nicht, ob wir große Vorbilder beim Gendern sein sollten. Unser Werkzeug ist nun einmal die Sprache und damit haben wir enormen Einfluss auf die Leute, deren Sprachgefühl und Sprachgebrauch. Daher müssen wir vorsichtig sein, wie weit wir das treiben. Wenn wir schon an Umfragen sehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Gendern ablehnt bzw. kritisch sieht, können wir uns nicht anmaßen, im ganzen Programm zu gendern. Wir wollen zwar Vorbilder sein, aber für wen wollen wir noch Vorbild sein, wenn es sich niemand mehr anhört?
„Mir geht es um Qualitätsjournalismus. Und Qualität heißt auch zu schauen: Über wen schreibe ich da? Wen benenne ich? Für wen schreibe ich?“
Frau Olderdissen, auf der Website Ihres Projekts steht, dass das Gendern die Aufgabe des Journalismus erfüllt, zu benennen, was ist und im Zuge dessen, wer ist. Aber ist die Aufgabe des Journalismus nicht genauso, nah bei den Leser*innen zu bleiben?
Olderdissen: Ich finde tatsächlich auch: Wir haben keinen Erziehungsauftrag, sondern den Auftrag, die Sprache schön zu benutzen. Ich sage, lasst uns elegant sprechen, lasst uns elegant schreiben, lasst uns all die Möglichkeiten ausnutzen, die uns die Sprache zur Verfügung stellt. Mir geht es um Qualitätsjournalismus. Und Qualität heißt auch zu schauen: „Über wen schreibe ich da? Wen benenne ich? Für wen schreibe ich?“ Deswegen ist es gut, dass der Bayerische Rundfunk Programme wie PULS hat, wo gegendert werden darf. Aber ich muss diese Art von Sprache nicht anwenden, wenn meine Zuhörerschaft ältere Leute sind. Die verstehen den Genderstern nicht, die kommen nicht mit. Das ist doch toll, dass unsere Sprache so flexibel ist.
Ruhs: Da stimme ich auch voll zu. Gerade wenn das Gendern vom Publikum erwartet wird, dann gendert man auch. Junge Formate – von mir aus. Aber dann bitte nicht alle, das vermisse ich auch ein bisschen: Ein junges Format, das nicht gendert. Man kann aber auf jeden Fall nicht anfangen, Programme, die sich an sechzig-plus Zuschauer richten, mit Sternchen zu gendern.
Dieses Interview fand am 11.01.2023 im Rahmen der Gesprächsreihe „Journalismus im Wandel“ statt. Studierende des Studienganges Crossmedia-Redaktion/Public Relations haben die Diskussion zwischen den beiden Gästen moderiert. Im Anschluss hatten alle Anwesenden die Möglichkeit, Fragen zu stellen.