Musiktexte-Kolumne 3 Minuten

Frischfleisch - Das ewige Gegeier

Clubszene
Lass deine Hände bei dir! | Quelle: Leonie Helbich
12. Mai 2025

Musik ist für uns alle ein Alltagsbegleiter – meist läuft sie einfach so mit, ohne viel Beachtung. Doch wenn man mal genauer hinhört, trifft sie oft genau ins Schwarze und legt den Finger auf einen wunden Punkt unseres Lebens. Männer sehen Frauen oft als „Frischfleisch". Warum ein Clubbesuch nie nur bloße Freude ist.

Es ist eine dieser Nächte, in denen die Alltagsturbulenzen in den Hintergrund rücken und die Musik das Herz auflockert. Ich bin mit meinen Mädels im Club, die stickige Luft und die bunten Lichter fühlen sich ekstatisch an. Unser Ziel: feiern, tanzen, den Moment auskosten – einfach mal alles vergessen. Ich bin am Tanzen, da sehe ich ihn. Ganz subtil drängt sich der Unbekannte in unseren kleinen Kreis. Erst schielt er nur rüber, dann kommt er immer näher, bis schließlich ein Arm um meiner Schulter liegt. Erst will ich nett sein. „Sorry, hab kein Interesse“, sage ich höflich in seine Alkoholfahne, die mich unerwünscht einhüllt. Damit müsste es doch klar sein, oder? Oh Wunder, natürlich sucht der Unbekannte nicht das Weite, ganz im Gegenteil, er fasst mich an der Schulter und will mich zum Tanzen heranziehen. Diesmal wende ich mich energischer ab, schiebe seine Hand von mir und suche mit meinen Freundinnen das Weite. Meine Stimmung? Ruiniert.

Innerlich kocht die Wut in mir. Mir schießt ein Song in den Kopf, den ich ironischerweise keine zwei Stunden zuvor mit meinen Freundinnen zusammengehört habe. Immer wenn wir uns zum Rausgehen fertig machen, dröhnt SXTN aus der Musikbox, dieses Mal der Song „Frischfleisch“. „Ich geh ab mit meinen Mädels und auf einmal kommt ein Lauch. Er sagt, er will mich bumsen, ich wäre sein Typ Frau“, singt Nura, eine der SXTN-Sängerinnen. Ein Ekel überfällt mich. Sexualisiert zu werden fühlt sich nie gut an. Wie ein kleiner Parasit hat der Mann sich eingeschlichen, eine einseitige Symbiose auf meine Kosten. Keine zwei Stunden vorher habe ich den Text mitgesungen, jetzt fühle ich mich selbst als Protagonistin des Rap-Songs.

Der Kampf ums "Nein"

Zurück auf der Tanzfläche sehe ich den Drängling schon von weitem. Dieses Mal verschont er mich, probiert es dafür bei einer meiner Freundinnen. Er kassiert eine Absage, natürlich, denn keiner steht auf aufdringliche, grenzüberschreitende Männer. „Keine zwei Minuten später steht er wieder da und geiert. Bei jedem Weib dieselbe Leier. Es reicht nicht nur einmal, wenn du zu ihm "Nein" sagst“, höre ich Nuras Stimme im Hinterkopf. Hallo? Bin ich gerade in einer Truman-Show-Club-Adaption oder warum passen die Lyrics perfekt auf meine Situation? Und jetzt, jetzt bin ich richtig wütend. Warum lässt uns dieser Mann nicht in Ruhe?

„Es reicht nicht nur einmal, wenn du zu ihm "Nein" sagst" 

SXTN

„Es reicht nicht nur einmal, wenn du zu ihm "Nein" sagst“ ist leider erschreckend akkurat. Woran liegt es, dass Männer kein „Nein“ verstehen? Bevor jemand schreit: „Not all Men“ - ja, ich weiß. Aber nette Männer machen das Problem von bösen Männern ja nicht weniger schlimm, oder? Ich bin es leid, die ewige Leier „Ich wurde so aufgezogen“ als Entschuldigung zu akzeptieren. Erziehung spielt bei der Entwicklung eine entscheidende Rolle, das ist klar, trotzdem sollte man als erwachsener Mensch antrainierte Verhaltensmuster hinterfragen und ändern. Nein heißt Nein.

Feminismus ist nicht out

Mittlerweile hat sich die Stimmung bei mir und meinen Freundinnen wieder erhellt, der Drängler nicht mehr zu sehen. Ich denke nochmal über den Song nach. „Er creept weiter durch den Club auf der Suche nach Frischfleisch.“ SXTN übernimmt in ihren Songs gezielt die Wortwahl von Männern, um so auf die Diskriminierung und Abwertung der Frau aufmerksam zu machen. „Frischfleisch“ trifft damit genau ins Schwarze. Frauen auf der Tanzfläche werden als Ware gesehen, als Objekt, das nur auf Eroberung wartet. Als ich in dieser Nacht im Bett liege und der Abend wie ein Film vor meinem inneren Auge abläuft, wird mir nochmal mehr klar: Wir brauchen Feminismus. Wenn Frauen als „Frischfleisch“ gesehen werden, muss sich noch viel ändern. Der Kampf um die Abschaffung des Patriarchats ist noch lange nicht vorbei.