„Hit and don't get hit" 

„Hit and don't get hit" 

Der Boxring ist Damis zweites Zuhause hier geht es ihm nicht nur ums Kämpfen, sondern um Disziplin, neue Chancen und Leidenschaft. Die Geschichte eines Boxtrainers.

Der Boxring ist Damis zweites Zuhause hier geht es ihm nicht nur ums Kämpfen, sondern um Disziplin, neue Chancen und Leidenschaft. Die Geschichte eines Boxtrainers.

Handschlag. „Hi, na was geht, geht’s dir gut?” Mit seiner Trainingstasche über der Schulter läuft er gelassen die Treppe hinunter in das zweite Untergeschoss. Bis auf das Flackern einer hellen Neonlichtröhre an der Decke ist nichts zu hören außer seine Schritte. Vor einer großen, dunklen Tür bleibt er stehen, dreht sich um und sagt grinsend: „Willkommen in meiner Welt.“ Dann öffnet er die Tür. Laute Hip-Hop Musik schallt ihm entgegen. Mit festen Schritten geht Damianos Mouratidis in das Boxstudio. Es riecht nach Schweiß und Menthol. Thailändisches Mentholöl zur Aktivierung der Muskeln. Jeden, den er sieht, begrüßt er mit Handschlag. Das Studio ist in drei Räume aufgeteilt. Es gibt einen Fitnessraum mit allerlei Kraftgeräten, eine große Fläche mit Boxsäcken und den Boxring. An diesem Donnerstagabend wimmelt es nur von Sportlern in kurzen Hosen, manche der Shorts mit goldenem Muster. Im Pitts Muay Thai Gym wird sowohl klassisches Boxen, als auch Muay Thai trainiert. Beim Muay Thai-Boxen kommen neben den Fäusten auch Ellenbogen, Knie und Füße zum Einsatz, während im klassischen Boxen ausschließlich die Fäuste erlaubt sind. Seit zwei Jahren ist Dami bereits als Trainer in diesem Studio aktiv.

Im Boxen hat er eine Leidenschaft gefunden, die sein gesamtes Leben geprägt hat. Schon in seiner Jugend war Sport für ihn ein wichtiger Ausgleich zum Schulalltag. Zuerst spielte er Fußball, doch anhaltende Knieschmerzen zwangen ihn, damit aufzuhören. Das löste eine Wut in ihm aus, die ein Ventil benötigte. „Auf was ist man nicht wütend in dem Alter“, sagt er nachdenklich. In seinem Umfeld gab es den Druck, dazuzugehören. Er selbst war derjenige, der sich am meisten Druck machte. In der Kleinstadt, in der er aufwuchs, traf man sich jeden Tag mit den gleichen Leuten in einem Jugendzentrum. „Man sucht einen Ausgleich, manche haben das auf illegalem Weg gefunden, ich bin zum Boxen gegangen.“ Viele seiner damaligen Freunde seien leichten oder schweren Drogen verfallen, andere im Gefängnis. 

Er ging stattdessen mit seinem besten Freund zum nächstgelegenen Gym, das Boxen im Angebot hatte. „Ich kam da rein und war verliebt. Und bin es immer noch.“

„Ich schaute mir ein Video von Mike Tyson an und dachte mir: Das will ich auch machen."

„Ich schaute mir ein Video von Mike Tyson an und dachte mir: Das will ich auch machen."

Dami sagt, dass der Sport für ihn ein Ausweg aus dem Leben gewesen sei, was andere dann lebten, weil sie nicht wussten, wohin mit ihrer Wut. Mit einigen seiner Freunde von damals habe er noch Kontakt. Manche seien wegen der Drogen schwer behindert. Einer seiner Freunde sei im Entzug gewesen und jetzt zu 80 Prozent gelähmt. Dami ist davon überzeugt, dass ohne das Boxen er selbst auch auf die falsche Bahn geraten wäre. Der Sportpsychologe Bogomil Poliakov bestätigt, dass Sport generell und vor allem bei Jugendlichen eine große Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung spielen kann. „Im Selbstverteidigungssport und Boxen geht es vor allem darum, Selbstbeherrschung und Selbsterkenntnis zu gewinnen“, so Poliakov. Dami konnte durch das Boxen eine neue Perspektive gewinnen, die ihn vor einigen falschen Entscheidungen bewahren konnte. 

Mit schwarzem Kapuzenpulli und schwarzer langer Trainingshose läuft er durch den kleinen Gang an den roten Schließfächern und am Boxring vorbei, indem zwei Männer gegeneinander kämpfen. Inmitten des großen Raums für Gemeinschaftstraining bleibt er stehen.

An der Wand sind Regale mit gelbschwarzen Schlagpolstern, auch Pratzen genannt. Mit ihnen kann man Schläge und Tritte trainieren.

An der Wand sind Regale mit gelbschwarzen Schlagpolstern, auch Pratzen genannt. Mit ihnen kann man Schläge und Tritte trainieren.

Von der Decke hängen an beiden Seiten des Raums Boxsäcke herunter, die an Stahlketten befestigt sind. Die Wand ist zudem übersät mit schwarzen Polstern. Heute ist Donnerstag. Gruppentraining, die Beine stehen im Fokus. Eine Gruppe von jungen Erwachsenen steht verteilt im Raum und beginnt, sich mit Springseilen aufzuwärmen. Die meisten in kurzer Hose, T-Shirt und barfuß. Sobald Dami den Raum betritt, richten sich alle Augen auf ihn. Mit durchgestrecktem Rücken und festem Schritt läuft er in die Mitte des Kreises und beginnt die erste Aufwärmübung zu erklären. Zirkeltraining. Springen, Joggen, in die Luft boxen. Im Hintergrund läuft Rapmusik von 50 Cent und Eminem. Springen, Joggen, in die Luft boxen. Nach dem Aufwärmen ziehen sich die Boxer in Spe ihre Bandagen an. Vier Meter lange elastische Baumwollbänder in rot, grün und schwarz werden um die Handgelenke gewickelt, um mehr Stabilität in den Boxhandschuhen zu sichern. Der Schweiß tropft ausnahmslos allen von der Stirn, einige sitzen bereits erschöpft auf dem Boden. Dami geht auf einen Jungen zu, der seine Beine massiert. „Deine Beine werden wehtun. Aber du schaffst das, darum geht’s.“ Handschlag.

Wenn Körper und Kopf auf die Probe gestellt werden

Der Boxsport ist mit viel Arbeit an sich selbst verbunden. Alle Körperregionen werden beansprucht. Nicht nur körperlich stellt das Boxen eine große Herausforderung dar, auch auf mentaler Ebene ist der Sport kein Zuckerschlecken. Sowohl Verletzungen, Schmerzen durch das viele Training, als auch der Zeitaufwand machen es einem nicht leicht. „Die Erwartung, dass jeden Tag die Sonne scheint, gibt es im Boxen nicht. Man muss auch mit Winter oder Herbst rechnen.“ Diese Erkenntnis hat Dami als Jugendlicher geprägt. „Du bekommst einen Weg an die Hand und lernst, deine Kraft zu kontrollieren“ Doch auch das Trainersein stellt ihn vor Herausforderungen. Poliakov betont, dass Boxen eine Sportart ist, die erfahrene Anleitung erfordert. Um Emotionen und Impulsivität zu kontrollieren, braucht es einen Trainer, der nicht nur klare Grenzen setzt, sondern auch die Energie seiner Schützlinge in Disziplin und Taktik lenkt.

„Die Erwartung, dass jeden Tag die Sonne scheint, gibt es im Boxen nicht. Man muss auch mit Winter oder Herbst rechnen.“

Damianos Mouratidis

Je länger die Gruppe trainiert, umso roter werden alle. Mit einer strenger, aber motivierend lauter Stimme gibt Dami Anweisungen, Hilfestellungen und leitet durch das Training. „Du lernst, mit Menschen umzugehen“, meint er. Viele kommen nach dem Training auf Dami zu und reden mit ihm über ihre Fortschritte, über ihre Probleme, aber auch über Privates. Das Boxstudio dient als Safespace für viele, die es brauchen. Ein junger Mann namens Perk erklärt nach dem Training: „Der Grund, warum ich das mache, ist mein Selbstbewusstsein.“ Zwar ist die körperliche Fitness für viele ein Anreiz, mit dem Boxen zu beginnen, doch vor allem bietet es ihnen einen Raum, um sich selbst zu stärken und persönlich zu wachsen. Henna, eine junge Erwachsene mit einem Zopf und einem verschmitzten Lächeln, erklärt, dass der Sport zuerst zur Selbstverteidigung gedacht war. Irgendwann ging es ihr dann nicht mehr um bloße Verteidigung, sondern um den Sport und die Technik selbst. Das Ziel des Boxens ist, so viele Treffer wie möglich zu landen. Innerhalb von 12 Runden, zumindest in der Profiliga, wird ein Schlag als ein Punkt gezählt. Jeder Punkterichter wertet anders aus und nach jeder Runde wird ein Zwischenstand verkündet. Auch das bloße „Druck aufbauen“ und den Gegner in die Ecke drängen kann als Punkt gezählt werden. Es gilt das Prinzip: „Hit and don’t get hit“. Ein Boxer geht dann KO, wenn ein sauberer Treffer auf Schläfe, den Solarplexus, Leber oder Kinn gelandet wurde. Auch ein langes Set gezielter Schläge kann auf die Dauer zum Aus führen. Der Trainer kann den Kampf auch vorzeitig beenden, indem er das Handtuch wirft. Der Sport ist prinzipiell aber nicht dafür ausgelegt, dem Gegner die Lichter auszuschalten. 

Kampf gegen den Gegner – und gegen sich selbst

Dami ist nun seit drei Jahren offizieller Boxtrainer. Er hat aber im Alter von 15 bis 24 Jahren selbst als Amateur trainiert und an Wettkämpfen teilgenommen. Hauptberuflich zu Boxen funktioniert allerdings nur dann, wenn man in der Profiliga boxt, andernfalls benötigt man einen weiteren Beruf, um über die Runden zu kommen. Um an dieses Ziel zu gelangen, hat Dami viel trainiert. Zu viel. Vier Operationen an Knie und Schulter haben ihn den Traum der Profiliga gekostet. „Meine Motivation ist trotzdem wie am ersten Tag. Aber man muss realistisch bleiben.“ Viele Menschen konnten ihn auf seinem Weg begleiten. Sein größter Unterstützer ist sein Vater, der von Anfang an für ihn dagewesen ist. Er hat selbst früher Kickboxen betrieben. Dann kam jedoch das Leben dazwischen und er musste zum Militär nach Griechenland, was ihn gezwungen hat, aufzuhören. Aber seine Leidenschaft für den Kampfsport ist geblieben und konnte durch Dami bleiben. „Er hat mich nie zu irgendwas gedrängt und trotzdem konnte er seinen Traum weiterleben."

„Vor einem Kampf fühlst du dich, als würdest du dir gleich in die Hose pinkeln“, erzählt er, sein Blick in die Ferne gerichtet. Das ganze harte Training sollte sich immerhin auszahlen. Sobald die Glocke läutete, vergaß er alles um sich herum. Er hörte nichts mehr: Nicht seinen Trainer, nicht den Gegner, nicht die Leute um ihn herum. Er wollte nur noch kämpfen. Der Trainer nahm ihn in der Pause beiseite, schlug ihm sanft ins Gesicht, bespritzte ihn mit kaltem Wasser, massierte seine Beine, schrie ihn an. Aber nach einer Minute kämpfte er wieder allein. 

Darum geht es ihm. Sich selbst und andere herauszufordern. Seine Lieblingskombination: Die Eins-Zwei-Technik. Mit der rechten Faust schlagen, mit der linken hinterher. 

Darum geht es ihm. Sich selbst und andere herauszufordern. Seine Lieblingskombination: Die Eins-Zwei-Technik. Mit der rechten Faust schlagen, mit der linken hinterher. 

Wenn er selbst zum Trainieren in das Studio kommt, vergisst er alles um sich herum. „Ich fühle mich, als würde ich alles auf dieser Welt besitzen und mir geht’s bestens“ 

Nach dem Gruppentraining verabschiedet er sich von allen. Er geht durch den Gang zurück zum Boxring. Hier wird Nils heute auf seinen ersten Kampf vorbereitet. Handschlag. Der gehört für Dami dazu. „Ich will, dass die Leute wissen: Ich bin zwar euer Trainer, aber wir sind gleichgestellt in dieser Halle.“ Er zieht sich die Pratzen über seine Hände und grinst Nils herausfordernd an. „Dann legen wir mal los.“