„Herzklopfen! Ich stand vor dem Fernseher und hatte Herzklopfen.“
Auch Frauen können predigen
„Habt ihr hier irgendwo einen Segen gesehen?“ Es beginnt die hektische Suche nach einem Zettel. In der Sakristei der Mannheimer Schlosskirche werden gerade die letzten Vorbereitungen für den Sonntagsgottesdienst getroffen und es herrscht Aufregung. Jemand muss noch schnell die Gesangsbücher auslegen und „wo genau kommt nochmal der Messwein hin?“ Draußen läuten die Glocken in einem unermüdlichen Rhythmus, als würden sie den Vorbereitungsstress, der hier drin herrscht, nach außen tragen wollen. Als Gegenpol zum Durcheinander ruhen im Regal die Messlektionare und einige Bibeln. Ganze sechsmal kann man sie zählen. Alles, wie man es von einer katholischen Kirche erwarten würde. Bis auf eine Sache: Der Pfarrer ist eine Pfarrerin und heißt Sabine Clasani.
Es ist kurz vor 10 Uhr, als Pfarrerin Clasani sich ihr Gewand anzieht. Grüne und gelbe Formen sind darauf zu sehen, mittendrin eine weiße Taube. Der Zettel mit dem Segen wurde inzwischen auch gefunden. In ein paar Minuten geht der Gottesdienst los und der hält sich schließlich nicht von alleine.
Über Brücken und Spaltungen
Was viele in der römisch-katholischen Kirche seit Jahren fordern, wird in der alt-katholischen Kirche gelebt. Frauen wie Sabine Clasani dürfen hier das Priesteramt ausüben. Mit etwa 30 Leuten aus Mannheim und Ludwigshafen feiert sie heute Familiengottesdienst in der Schlosskirche. „Ein Gottesdienst, bei dem ich euch in Bewegung bringen werde“, verkündet sie ganz zu Beginn. Heute stellen sich die Kommunionkinder vor. Ihr Thema ist die Brücke: Sabine Clasani predigt darüber, wie wir Menschen es schaffen können, Brücken zu anderen zu bauen. Währenddessen legen die Kinder goldene Bänder auf den Boden, um die Bänke rechts und links miteinander zu verbinden.
Der Grund dafür, dass Sabine heute als Katholikin hinter dem Altar stehen und predigen kann, liegt über 150 Jahre zurück. Aus Protest gegen die Beschlüsse des Ersten Vatikanischen Konzils 1869/ 70 spaltete sich eine Gruppe von Leuten von der römisch-katholischen Kirche ab. Papst Pius | X erklärte damals unter anderem die päpstliche Unfehlbarkeit, was vielen Gläubigen nicht gefiel. Katholik*innen, die die neuen Glaubenssätze nicht annehmen wollten, wurden vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen. Sie mussten sich neu organisieren – es entstand die alt-katholische Kirche.
Frau und Kirche: eine ewige Predigt
Während über die Rolle von Frauen in der katholischen Kirche schon lange vorher diskutiert wird, spielt das Thema der Frauenordination für die Altkatholiken erst ab den sechziger Jahren wirklich eine Rolle. Noch 1976 hatte die Internationale Alt-Katholische Bischofskonferenz der Utrechter Union (IBK) beschlossen, dass Frauen weder Diakonin, Priesterin noch Bischöfin werden können – 20 Jahre später werden in der Christuskirche in Konstanz die ersten Frauen zu Priesterinnen geweiht.
Damals sitzt Sabine Clasani vor dem Fernseher und sieht die Bilder der Weihe in der Tagesschau. Zu diesem Zeitpunkt kennt sie die Alt-Katholische Kirche nicht, steckt mitten in ihrem römisch-katholischen Theologie Studium. Den Wunsch, Priesterin zu werden, gesteht sie sich deshalb lange nicht ein: „Es war ja immer irgendwie klar, das geht nicht.“ Doch aus einem Gefühl „Es ist ungerecht, dass Frauen keine Priesterinnen werden können“, wird im Laufe ihres Studiums das Gefühl von „Es ist ungerecht! Warum kann ich das nicht werden?“
Was die Bilder der ersten Priesterinnenweihe in ihr ausgelöst haben? Da werden die Augen von Sabine Clasani kurz weit, sie atmet tief durch. „Herzklopfen!“, sagt sie dann. „Ich stand vor dem Fernseher und hatte Herzklopfen“. Sie erzählt davon, wie sich eine wahnsinnige Anspannung in ihr Bahn gebrochen hat. Das, was vorher immer undenkbar gewesen war, wird mit den Bildern in der Tagesschau plötzlich denkbar. „Da war einerseits Sehnsucht, ich habe gemerkt, da zieht mich was hin. Aber es hat auch ganz viel Unruhe in mir ausgelöst – wo geht mein Weg jetzt hin, was ist das Richtige für mich?“ Trotzdem schließt sie ihr Studium ab. Danach wechselt sie die Konfession und wird am 02. Februar 2007 selbst zur Priesterin geweiht. „Ich hab überhaupt nicht gemerkt, wie die Zeit rumging. Das war ein total schöner Gottesdienst“, erinnert sie sich.
Momentan gibt es in Deutschland rund 15.000 Altkatholiken und 60 Pfarrgemeinden. Gemeinden, die einen etwas anderen Weg gehen. Mit der Frauenordination, wie auch mit der Ermöglichung einer kirchlichen Wiederheirat von Geschiedenen oder der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Und ob Priester*innen im Zölibat (Ehelosigkeit) leben möchten oder nicht, ist ihnen selbst überlassen.
Innerhalb der römisch-katholischen Kirche, der Kirche mit den meisten Anhängern in Deutschland, sind all diese Dinge derzeit nicht möglich. Ein Umschwung wird auch dort gefordert, der geht allerdings nur sehr schleppend voran. Davon sind viele frustriert.
Es muss was passieren
Wer nach dem Gottesdienst in Mannheim noch ein bisschen Zeit übrig hat, ist herzlich zum Kirchenkaffee in der Sakristei eingeladen. Gemeinsam sitzen die Gemeindemitglieder jetzt an den Tischen und genießen Kaffee und Kuchen. Die Gespräche nehmen schnell ihren Lauf.
„Mädels, ich habe aufgegeben, dafür zu kämpfen.“
Frustriert sein, weil sich nichts bewegt – das kennt auch Sonja Barth. Sie ist im alt-katholischen Kirchenvorstand in Mannheim und Ansprechpartnerin für den Frauengesprächskreis. Früher war Sonja römisch-katholisch und auch dort kirchlich aktiv. Sie erzählt davon, wie sie immer weiter an eine Grenze gestoßen sei. Die Dinge, die sie in der römisch-katholischen Kirche für Frauen verändern wollte, hätten sich einfach nicht bewegt.
Während die Unterhaltung bisher sehr gelassen war, wird die Stimmung jetzt ein wenig ernster. Auch die anderen am Tisch hören zu. „Das sieht man ja auch bei Maria 2.0“, erklärt sie weiter. „Irgendwann habe ich meinen Freundinnen gesagt ‚Mädels, ich habe aufgegeben, dafür zu kämpfen‘ und für mich die Entscheidung getroffen, altkatholisch zu werden“.
„Maria 2.0“ ist eine Bewegung, die von römisch-katholischen Frauen angeführt wird. Sie setzen sich unter anderem dafür ein, dass auch Frauen Zugang zu den Weiheämtern erhalten.
Initiativen wie „Maria 2.0“ oder der „Synodale Weg“ wollen Reformen, sie wollen Veränderung für die römisch-katholische Kirche. Durch mehrere Jahre Kampf des „Synodalen Wegs“ konnte in Deutschland ein Ergebnis erzielt werden: Die Vollversammlung hat 2023 zumindest für die Öffnung des Diakonats für Frauen gestimmt. In der Hierarchie stehen Diakone unter dem Priester. Sie unterstützen zum Beispiel bei Gottesdiensten und dürfen selbst taufen. Die Eucharistiefeier bleibt allerdings den Priestern vorbehalten.
Damit eine solche Forderung angenommen wird, wird eine Zweidrittelmehrheit der Bischöfe benötigt. Sie sollen sich nun in Rom dafür einsetzen, dass Frauen zur Diakonin geweiht werden können, denn das letzte Wort hat immer noch der Papst.
Eine Zustimmung „von oben“ braucht die Alt-Katholische Kirche in Deutschland nicht als die Bistumssynode in den Neunzigern beschließt: Die Zeit ist reif, um Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche ist die alt-katholische Kirche synodal organisiert. Im Prinzip bedeutet das, dass sie auf einer demokratischen Struktur basiert und die Entscheidungsmacht aufgeteilt ist. Jedes Mitglied hat ein Mitspracherecht und kann bei der Zukunftsgestaltung der Kirche mitwirken. Reformen und neue Entwicklungen werden durch flache Hierarchien begünstigt.
Neue Wege gehen
Als Pfarrerin möchte Sabine Clasani die Menschen erreichen. Auf die Frage, warum es für eine Kirche wichtig ist, sich an gesellschaftliche Veränderungen anzupassen, antwortet sie mit einer klaren Meinung: „Wenn ich die Menschen von heute erreichen will, dann darf ich das nicht mit Mitteln tun, wie vor 500 Jahren. Sonst steh' ich hier alleine“. Sie denkt kurz nach, dann fängt sie an, eine Geschichte zu erzählen. Auf einmal geht sie voll und ganz in ihrer Aufgabe als Priesterin auf. Ihre Berufung wird greifbar.
In der Geschichte stellt jemand die Frage, warum Jesus gerade Fischer beruft. Ein Pfarrer antwortet ausführlich: Wer auf Land einen Weg geht, geht immer wieder dort, wo er schon einmal gegangen ist. Irgendwann asphaltiert er den Weg vielleicht und wird nur noch diesen einzigen Weg nehmen. Sabine Clasani nimmt hier und jetzt den Platz des Pfarrers in der Geschichte ein. „Fischer aber, müssen sich jeden Tag neu auf die Suche machen und dort hingehen, wo ihre Fische sind“, sagt sie, „denn es könnte sein, dass der Weg von gestern nicht zu den Fischen von heute führt.“
Da gibt es also gar keinen großen Unterschied – zwischen den Fischen in der Geschichte und der Gesellschaft, die erreicht werden möchte, von einer Kirche, die auch mal neue Wege geht.