„2002 kam unser Sohn Anastasi auf die Welt und alles war perfekt.”
Bis dass der Tod uns scheidet
„Mein Mann war ein ganz lebensfroher Mensch, sehr liebevoll und rücksichtsvoll und mit ganz viel Humor.” Beim Betreten von Zois Wohnung steigt uns ein griechischer Geruch aus Nelken, Zimt und einem Hauch Kardamom in die Nase. Auf dem Couchtisch erwarten uns duftende Plätzchen und Tee. Christos – „das ist bei uns Griechen der Name von Jesus Christus." Zoi und Christos Liebesgeschichte beginnt 1995 in einem griechischen Club. Er ist damals 25, sie 21. Nach zwei Jahren beschließen sie, im Dezember zu heiraten. „Eine schöne Winterhochzeit. Mal was anderes. Nicht wie alle im Mai oder im Juni”, erzählt Zoi mit einem Lächeln auf den Lippen. Auch geschäftlich werden sie kurz darauf ein Team und ziehen gemeinsam ein Reisebüro auf.
In guten und in schlechten Zeiten
„Es gibt so Tage oder Momente, die einem einfach im Kopf bleiben. Da kann man sich wirklich an die kleinsten Details erinnern.” Gedanklich schweift Zoi in das Jahr 2006: Sie bekommt einen Anruf mit der Nachricht, dass ihr Mann einen Herzinfarkt hatte. Er ist zu diesem Zeitpunkt erst 36 Jahre alt. Von diesem Schock erholt sich die kleine Familie jedoch bald darauf. „Bei uns war der Tod kein Tabuthema zuhause. Wir haben allgemein darüber gesprochen, wie es ist, wenn jemand von uns geht”, sagt Zoi mit glasigen Augen. Sie macht deutlich, welch ein tolles Verhältnis die dreiköpfige Familie zueinander hatte. Sie beschreibt ihre Ehe mit Christos als Fels in der Brandung: „Wir waren zwar Mama und Papa und bei uns gab es auch Regeln. Aber trotzdem haben wir nicht aufgehört, auch als Freunde zu funktionieren.”
„Wir haben wirklich jeden Wind und jedes Wetter durchgestanden.”
In Gesundheit und Krankheit
Er hat es gespürt. Zwei Wochen zuvor schon. „Da kamen immer komische Andeutungen.” Schwermütig erzählt Zoi, dass Christos auch etwas Schlimmes geträumt hat und es ihr nicht erzählen wollte. „Ich wusste, er hat Angst.” Er verrät ihr lediglich den Anhaltspunkt, dass er bei seinen – bereits verstorbenen – Eltern war. Auch in der Kirche fielen seinerseits vermehrt Andeutungen, die Zoi bis dato nicht verstand.
Fasching 2015. Es ist 19 Uhr und Zoi fährt am Reisebüro vorbei, als sie noch Licht sieht. Beim Hereingehen bemerkt sie, dass Christos sich gerade mit einem Kunden streitet. „Ich habe gesehen, wie aufgebracht und aufgewühlt mein Mann war”, schildert Zoi mit einer ernsten Miene. Sie bittet ihn, ruhig zu bleiben, da es die Aufregung nicht wert sei. Während sie ihrem Mann die Blutdrucktabletten reicht, bittet sie den Kunden, das Reisebüro zu verlassen. Auf dem Weg nach Hause ruft Anastasi mit der Bitte an, noch 15 Minuten länger draußen bleiben zu dürfen. Christos willigt ein und erlaubt ihm sogar, erst in einer halben Stunde nach Hause zu kommen. Zois Stimme bricht.
„Das war das letzte Mal, dass Anastasi die Stimme seines Vaters zu hören bekam.”
Als sie zuhause ankommen, setzt sich Christos langsam auf einen Stuhl im Wohnzimmer. Während Zoi das erzählt, zeigt sie auf den leeren Stuhl gegenüber von uns und flüstert mit zittriger Stimme: „Da vorne”. Als sie ihn umarmt, versucht sie ihn zu besänftigen. „Bitte mein Schatz, lass es nicht so an dich herankommen, das ist nicht gut.” Tränen kullern ihr über die Wange. „Ja... und dann habe ich auch schon gemerkt, wie er seine Augen verdreht und bewusstlos wird.” Durch ihre Umarmung kann sie ihn reflexartig am Kragen packen und in der Zeit mit der Faust auf seine Brust schlagen. „Irgendwie war das komisch”, sagt sie und hält inne. „Ich war fest davon überzeugt, dass das alles wieder gut wird… wie beim ersten Mal.” Zoi nimmt ein Taschentuch zur Hand und wischt sich ihre Tränen aus dem Gesicht.
Bis der Tod uns scheidet
Christos wurde nur 44 Jahre alt. Er hinterließ seine 41 Jahre junge Frau und ihren gemeinsamen, 13-jährigen Sohn. Dieses Schicksal ereilt Eheleute in Deutschland immer später. So werden Frauen heute gut sechs Jahre später zur Witwe als noch vor 20 Jahren. Zois Geschichte gehört somit zur Minderheit. „Ich bin jetzt ganz alleine. Ich habe keine Stütze mehr.” Diese Gedanken verfolgen Zoi in den ersten Stunden und Tagen nach dem Tod. Im Oktober 2015 verkauft sie das Reisebüro. „Ich konnte es nicht weiterführen, da ich wirklich für mein Kind da sein wollte.“ Auch die Räumlichkeiten erinnerten sie zu sehr an ihren verstorbenen Mann. „Es war am Anfang auch ganz komisch, in die Supermärkte zu gehen, in die wir zusammen gegangen sind. Die Wohnung, sogar Tankstellen. Einfach alles."
„Das war immer wie ein Backstein am Hals. Ganz schwer zu schlucken.“
Das Versprechen, das Zoi Christos am Sterbebett gegeben hat, dass sie alles schaffen wird, und er sich keine Sorgen machen muss, hat sie nie gebrochen. Der Lichtblick war ihr Sohn Anastasi. „Er hat sehr viel dazu beigetragen, dass ich mir die Kraft von ihm nehme und weitermache. Auch für ihn”, stockt sie und schluchzt. „Ich habe gedacht, ich wäre da bisschen stärker, um darüber zu sprechen. An manchen Tagen bleibe ich ganz cool, doch manchmal funktioniert das einfach nicht.” Zoi offenbart einen Schlüsselmoment, bei dem sie ihre Tränen auch vor Anastasi nicht zurückhalten konnte. Mit dem Taschentuch in ihrer Hand trocknet sie erneut ihre Tränen. Mit seinen 13 Jahren gab er ihr aufs Neue Kraft, mit den Worten: „Mama, Papa ist jetzt an einem besseren Ort. Du musst nicht weinen.” Mit seiner Geste, sie zu trösten, wurde nun er zu ihrem Felsen in der Brandung. Denn von Anfang an zeigten Zoi und Christos ihrem Sohn, was Liebe heißt. Sie gaben ihm die nötigen Wurzeln für Zusammenhalt und gemeinsame Stärke mit auf den Weg.
Zoi hat ihren Weg zurück ins Leben gefunden und wird Christos, auch über den Tod hinaus, für immer in ihrem Herzen tragen.