Kneipenkultur 5 Minuten

Eckkneipen gegen die Einsamkeit

Jugendliche spielen Billiard
Social Media Präsenz hat das Dafni´s nicht. Die Gäste sollen hier im Moment leben und ihre Privatsphäre haben. Die Bilder in diesem Artikel zeigen daher ausschließlich Freund*innen. | Quelle: Lilli Zenth
21. Mai 2025

Fernab von Szenetreffpunkten und trendigen Cocktails gibt es einen Ort, dessen Türen allen offen stehen, die nicht allein sein möchten. Echte Gemeinschaft statt ,Gin-Basil Smash'? Auf ein Getränk in „Dafni's Bistro & Pub“.

Es scheint, als hätte der ganze Laden die Luft angehalten, als Dafni Tomi an diesem Abend ihre Kneipe betritt. Ein Mann, der zuvor eine halbe Stunde lang sein Glück an dem neon-grün blinkenden Glücksspielautomaten versucht hat, erhebt sich von seinem Barhocker, geht zum Tresen, nimmt ihre Hand und küsst sie zur Begrüßung. Ein warmes Lächeln macht sich auf dem Gesicht der zierlichen, grauhaarigen Frau breit. Sie kennt den Mann, begrüßt ihn mit den Worten „Hallo Schatz, willkommen.” 

Seit 25 Jahren sind die Türen hier von zehn Uhr morgens bis drei Uhr nachts geöffnet und das an jedem Tag die Woche. Damals beschloss eine junge Frau, die eigentlich Sängerin werden wollte, ihre Heimat in Griechenland zu verlassen und ihrem Mann nach Deutschland zu folgen. Dieser hatte dort eine Kneipe, der er ihren Namen gab. „Dafni´s Bistro & Pub” prangt in kursiver, schwarzer Schrift auf dem Eckhaus in der Böblinger Straße. Mittlerweile ist ihr Mann vor über drei Jahren verstorben. Ein gerahmtes Bild in einem Regal über dem Tresen erinnert an ihn. Dafni hat noch immer Tränen in den Augen, wenn sie in gebrochenem Deutsch von ihm erzählt. „Ich habe den besten Mann", sagt sie. 

Der Wandel der Zeit

Vieles hat sich in den 25 Jahren verändert, aber das Herz des Lokals ist gleich geblieben. So auch das Interieur. Schwarz-weiß karierter Fliesenboden, in der Ecke Spielautomaten, Darts und ein Billardtisch. Von der Decke hängen Discokugeln, über der Theke Fotos, auf denen die Besitzerin lächelnd mit anderen Menschen zu sehen ist. Wenn man die Zeigerbewegung der zahlreichen Wanduhren außer Acht lässt, wirkt es, als wäre die Zeit hier stehengeblieben. Auch die Stammkundschaft ist dem Laden nach all den Jahren treu. Manche Gäste kommen fast jeden Tag.

Einer von ihnen ist Harald. Für ihn ist Dafni’s weit mehr als nur eine Kneipe. Er kommt hierher, packt seinen Laptop aus und schreibt an seinen Science-Fiction-Romanen. Während er von seinem neuesten Thriller mit einer außerirdischen Auftragskillerin in seinem Viertel Heslach erzählt, fällt die Asche seiner Zigarette auf seine Tastatur. Mit den Worten „Wenn Alkohol im Spiel ist, schreib' ich wie Hemingway“ lässt er sich vom Wirt ein neues Bier bringen. Harald ist Schriftsteller und der Stammtisch sein Schreibtisch. Diese Kneipe ist sein Wohnzimmer. Sie ist der Ort, an den er vier bis fünf Mal in der Woche ist, an dem er die Menschen kennt. Sie ist ein Lebensmittelpunkt für ihn. Sein dritter Ort.

An der Theke des Dafnis
Ein Lebensmittelpunkt direkt vor der Haustür. Der Großteil der Stammgäste wohnt nur einige Minuten entfernt.
Quelle: Lilli Zenth

Soziologie in der Eckkneipe?

Neben dem zu Hause und der Schule, Uni oder Arbeit gibt es, laut dem Soziologen Ray Oldenburg, noch einen dritten Ort, der identitätsstiftend sein kann. Diese sogenannten dritten Orte oder third Places öffnen durch ihre zwanglose Atmosphäre und ihren niederschwelligen Zugang, den sozialen Austausch für alle Gesellschaftsschichten. Sie stiften Gemeinschaft und wirken der Vereinsamung entgegen.

Vereinsamung kann krank machen, das meint auch der Soziologe Hans-Arved Willberg. Besonders gefährdet seien dabei junge Menschen. Durch Social Media verlagern sich ihre dritten Orte in den digitalen Raum. Aus dem Treffen im Park wird ein Facetime-Anruf. Fast alles aus der realen Welt lässt sich bequem aus dem eigenen Zimmer verfolgen. Der Kontakt mit Menschen sei aber immer auch mit Risiko und Arbeit verbunden, sagt Willberg. Dafür müsse man seine Komfortzone verlassen. Die Gefahr der Digitalisierung besteht darin, dass sie vorgaukelt, das Leben einfacher zu machen und vor Enttäuschungen zu schützen. Doch für diese vermeintliche Sicherheit zahlen viele den Preis der Einsamkeit. Willberg spricht sogar von einem ,,sozialen Klimawandel“.

,,Das ist ein sozialer Klimawandel, den wir haben.”

Doktor der Philosophie Hans-Arved Willberg

Ein ganz anderes Verhältnis

Dass dies aber nicht für alle jungen Menschen der Fall sein muss, beweisen Mila und ihre Freundesgruppe. Für sie ist das Dafni seit einigen Jahren ein fester Treffpunkt –der Ort, an dem jeder gemeinsame Abend und jede wilde Clubnacht beginnt. Als die Gruppe durch die Tür kommt, verlässt Dafni ihren Barhocker hinter der Theke und umarmt sie zur Begrüßung. ,,Die jungen Leute hier nennen mich Mama“, erzählt Dafni später. Und tatsächlich: Wer die zwei Frauen beobachtet und ihrem Gespräch über Studium und Familie lauscht, würde kaum vermuten, dass es sich hier um einen Kneipenplausch handelt. Und genau das macht diesen Ort für Mila so besonders. ,,Das ist ein ganz anderes Verhältnis, in anderen Kneipen hat man das nicht wirklich.”

Heute feiert sie hier ihren 20. Geburtstag. Kurz vor Mitternacht stellen sich alle um den Tisch der Gruppe. Auch die Besitzerin und die Tresenkraft sind dabei als von zehn heruntergezählt wird und singen lauthals mit als um null Uhr das erste Ständchen angestimmt wird. Shots werden an den Tisch gebracht – als Geburtstagsgeschenk.

Bierflache und Bierglas
Cocktails, Softdrinks und besondere Haus-Shots. Dafni bietet viele verschiedene Getränke an. Die meisten trinken jedoch Bier.
Quelle: Lilli Zenth

Im Kreise der Familie

Feierlichkeiten werden hier großgeschrieben. Bei Geburtstagen wird dafür gesorgt, dass das Geburtstagskind ungestört feiern kann und auch an Weihnachten bleibt die Tür zur Eckkneipe manchmal geöffnet. ,,Wir sind dann eher unter uns. Und die Personen, die halt keine Familie haben kommen auch. Wir feiern dann alle zusammen als Gemeinschaft.” meint Dafnis Neffe.

Für viele der Gäste ist die Gemeinschaft hier wie ein Familienersatz und auch für Dafni selbst werden Kund*innen zu Freund*innen, 40 bis 50 ihrer Gäste kennt die Inhaberin richtig gut. Sie weiß, was in ihren Leben passiert, kennt ihre Familien und begleitet sie – an guten, wie an schlechten Tagen. Sie trifft sich mit ihnen zum Essen, wird zu Hochzeiten eingeladen und geht zu Beerdigungen.

„Jeder hier kennt sich persönlich mit Vornamen." 

Harald (Stammgast)

„Wenn du das Wesen des Dafni´s einfangen willst, dann musst du auf dem Herrenklo anfangen." 

Stammgast

„Wer einen schlechten Tag hat, kommt hier rein und kommt glücklicher wieder raus. Auch für mich persönlich war das schon so." 

Tella Görken (Dafnis Neffe)

„Die Gäste sind nicht alle gleich – Gott sei Dank." 

Gigeontos Teallos (Mitarbeiter)

„Dieses Lokal ist wie eine Kirche." 

Dafni Tomi (Inhaberin)

Mehr Kirche als Kneipe

Es ist Sonntagmorgen. 11.45 Uhr leuchtet in blauen Ziffern auf der Digitaluhr gegenüber der Theke. Die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fallen, werden durch den Rauch, der der Kneipe bis in den Wänden steckt, gebrochen. Dass sich hier bis heute früh um 5 Uhr noch Barbetrieb war, kann man sich kaum vorstellen, so friedlich wirkt alles. „Dieses Lokal ist wie eine Kirche“, sagt die Besitzerin und in diesem Moment wird klar, was sie damit meint.

Ein junger Mann sitzt mit einer Tasse Kaffee und einer Butterbrezel vor dem Spielautomaten. Sein Fuß tippt nervös auf den Fliesenboden. Als er aufsteht und den Laden verlässt, ruft ihm der Wirt ein „Ciao Lukas, mein Freund" hinterher. Hier kennt man sich mit Vornamen.

Gigeontos arbeitet seit etwa einem Jahr in dem Lokal. Er ist einer von drei Angestellten, die immer dann einspringen, wenn die Chefin sich von der letzten Nachtschicht erholt. Wie auch viele der Gäste wohnt er in der Nähe. Früher war er selbstständiger Gastronom. Er kennt einige Gäste schon seit 15 Jahren. Damals waren die 16-jährigen Jungs Gäste in seinem eigenen Restaurant, heute sitzen sie ihm als 30-jährige Familienväter an der Theke des Dafni's gegenüber.

„Es gibt Leute, die sehen die Gäste nur dafür, wie viel Geld sie von ihnen bekommen“, sagt Gigeontos. Hier sei das anders. Hier stehen die Menschen im Fokus.

Es ist ein Ort, an dem sich Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und mit unterschiedlichen Geschichten begegnen. Junge Menschen, die am Samstagabend in der Ecke Billiard spielen, vielleicht sind sie nur eine Nacht hier. Senior*innen, die herkommen, weil sie sonst allein wären. Für all diese Menschen ist das Dafni´s ein dritter Ort. Konflikte gäbe es dabei keine. Alle Religionen und politischen Überzeugungen treffen hier aufeinander und natürlich sind nicht immer alle einer Meinung, aber in welcher Familie ist das schon so.

Dafnis von außen
Die Türen sind hier fast die ganze Nacht geöffnet. Um das zu stemmen, wechselt sich das Personal im Dreischichtsystem ab.
Quelle: Lilli Zenth