Wir rocken die Bude.
Ein Frauenchor, der Mut macht und verbindet

Was macht euren Chor besonders?
Wir sind ganz verschieden. Wir haben Analphabetinnen im Chor und wir haben Architektinnen. Aber es sind alle Sängerinnen. Das ist schön.
Das macht im Chor aber gar keinen Riesenunterschied. Denn worum geht es meistens in den Liedern? Es geht um Liebe, es geht um Frieden, es geht um Trauer. Und das haben alle Menschen gemeinsam.
Auf welchen Sprachen singt ihr?
Wir singen nicht nur auf Deutsch, sondern in ganz verschiedenen Sprachen wie Türkisch oder Arabisch. Wir haben auch einige Stücke in einfacher Mehrstimmigkeit arrangieren lassen. Man könnte denken, die Frauen müssen sich alle an unser europäisches Mehrstimmigkeitssystem anpassen – nö, müssen sie nicht. Auch kulturelle Aneignung ist natürlich immer ein Thema. Aber ich mache das ja mit den Frauen zusammen. Wenn es ihnen gefällt und sie nicht das Gefühl haben, ihre Musik wird verstümmelt, dann ist das für mich der richtige Weg.
Und wie kommt das beim Publikum an?
Ach, super. Wir rocken die Bude. (Hayat lacht.)
Der WoW-Chor ist durch eine Integrationsmaßnahme entstanden. Was hat denn Singen mit Integration zu tun?
Der Grund war, dass man im Chor das Auftreten lernt. Mit dem Auftreten nimmst du eine andere Körperhaltung ein. Aufrechter Gang, sich dem Platz nähern, nicht klein machen. Und das üben wir wirklich. Wir üben aufzutreten. Außerdem lernt man beim Singen auch etwas über die eigene Stimme. All diese Aspekte sind wichtig für spätere Bewerbungsgespräche, also war das das ausschlaggebende Argument für das Jobcenter, den Chor zu finanzieren.
Und warum ist es trotzdem wichtig, dass ihr nicht nur auf Deutsch singt?
Ich wollte die Frauen abholen wo sie sich wohlfühlen. Du kennst das vielleicht, wenn du im Ausland bist und alle sprechen eine andere Sprache, die du nicht gelernt hast. Was passiert, wenn dich jemand auf Deutsch anspricht? Man fühlt sich irgendwie zu Hause. Und die neue Sprache lernt man dann vor allem durch den Austausch.
Women of Wuppertal – Warum eigentlich nur Frauen?
Männer können sich oft besser darstellen. Viele Frauen machen die Sachen einfach, reden aber dann nicht darüber. Für Männer gibt es auch viel mehr Angebote. Und aus meiner eigenen Biografie und aus meinem Umfeld weiß ich, dass viele Frauen nicht in eine gemischte Gruppe mit Männern gehen würden. Daher ist ein Frauenchor einfach ein geschützter Ort. Man muss am Ende auch nicht auf die Bühne und kann trotzdem zu den Proben kommen. Hauptsache, die Frauen kommen überhaupt.
Ihr seid schon in ganz Deutschland aufgetreten. Welche Bedeutung haben die Auftritte für die Frauen?
Ich wollte immer, dass sich die Frauen auch anders wertgeschätzt fühlen und nicht nur durch die Eigenschaft, dass sie Mütter sind. Und spätestens die Erfahrung, auf der Bühne zu stehen und Applaus dafür zu bekommen, dass sie singen, hat dann in fast allen Frauen einen Unterschied bewirkt. Sie haben dann gemerkt, sie sind auch Sängerinnen.

Deine Eltern kommen ursprünglich aus Marokko, oder?
Ja, aber wenn mich jemand nach meiner Heimat fragt, sage ich normalerweise Frankfurt. Auch, um mal ein bisschen zu provozieren. Zwar ist Marokko auch irgendwie zu Hause, weil die Sprache für mich so zu Hause ist, aber ich kenne das System überhaupt gar nicht. Ich finde auch, dass es eigentlich gar nicht wichtig sein soll, wo man herkommt. Das klingt ein bisschen paradox. Ich feiere ja gerade die Diversität in unserem Chor. Aber ein Ziel wäre es, zu sagen: Eigentlich funktionieren wir alle gleich.
Hättest du dir für deine Mama auch einen WoW-Chor gewünscht?
Ja. Und ihr hätte ich vor allem den Mut gewünscht, dahin zu gehen.
(Hayat runzelt die Stirn und schweigt.)
Kannst du dich noch an ein Gespräch mit einer Frau erinnern, das dich besonders berührt hat?
Oh, da gibt es ganz viele. Zum Beispiel eine Frau, deren Familie deutsch ist, die aber ihre Wurzeln in Indien hat. Und sie sagte, sie sei immer eine Außenseiterin gewesen. Oder nein, sie sagte, sie sei immer eine Exotin gewesen. Und jetzt sei sie das erste Mal in einer Gruppe, in der sie definitiv keine Exotin sei. Und das berührt mich natürlich.
Die Finanzierung der Maßnahme wurde plötzlich beendet - Wie war das für dich?
Ich konnte nicht verstehen, warum es dafür keine finanzielle Unterstützung mehr gab. Aber ich bin zum Glück nicht in ein Loch gefallen, weil ich den Chor stattdessen in der Musikschule weiterführen konnte. Hier sind alle Frauen willkommen. Natürlich auch die, deren Familien immer schon in Deutschland waren, und die einfach anfangen wollen zu singen. Parallel gibt es seit einer Weile auch eine musikpädagogische Betreuung für ihre Kinder. So können alle zum Chor kommen, auch die, die Mütter sind. Wir haben vor kurzem gezählt, dass wir jetzt 70 Frauen sind. Und die Hälfte ist inzwischen Deutsch, oder dieses blöde Wort „Biodeutsch“ gibt es ja auch noch.

Hast du noch Kontakt zu vielen Frauen, die jetzt inzwischen nicht mehr dabei sind? Und was ist aus ihnen geworden?
Leider nicht. Die meisten Frauen, die damals noch während der Maßnahme bei mir waren, haben den Sprung zu dem anderen Chor nicht geschafft. Aber eine, die geblieben ist, ist eine unfassbar gute Sängerin geworden. Und weil sie damals im Chor aufgefallen ist, singt sie jetzt viel öfter Konzerte als ich.
Wenn wir die Möglichkeit haben, uns zu begegnen, dann können viele Vorurteile und Ängste abgebaut werden.
Was, denkst du, hat Wuppertal von den WoW gelernt und was kann Deutschland insgesamt lernen?
Ich glaube, wenn wir die Möglichkeit haben, uns zu begegnen, dann können viele Vorurteile und Ängste abgebaut werden. Stell dir mal vor, ich wäre Königin von Deutschland. Dann würde ich für alle zugewanderten Menschen nicht nur Sprachkurse anbieten, sondern dafür sorgen, dass sie direkt in irgendeinem Verein untergebracht werden. Egal ob Fußball oder Musik. Ich würde es so verpflichten, wie auch Sprachkurse verpflichtend sind. Dann ist man nicht nur B1, sondern auch im SG 1826 im Mittelfeld.
(Den Verein hat sie sich gerade ausgedacht.)
Das wäre mein Ideal. Wenn ich mal Königin wäre, dann kommt das.