Das System Scientology
Mit ihrem sektenartigen Charakter gerät Scientology immer wieder in die Kritik und wird sogar als demokratiegefährdend eingestuft. Bereits seit 1997 steht sie deswegen in Deutschland unter Beobachtung von Verfassungsschutzbehörden. Anhänger*innen glauben, den Weg zu vollkommener, geistiger und seelischer Gesundheit zu kennen. Gefährlich wird die Bewegung aber erst, weil sie es schafft, großen Einfluss auf verschiedenste Unternehmenssektoren auszuüben, in denen sie verdeckt mitwirkt.
Die Lehre der Organisation zielt laut Verfassungsschutz darauf ab, wesentliche Grund- und Menschenrechte einzuschränken, unter anderem die Meinungsfreiheit und die Unantastbarkeit der Menschenwürde.
Die erste „Church of Scientology“ wurde 1954 von L. Ron Hubbard gegründet. Die Lehren Scientologys basieren auf seinem Buch „Dianetik“ aus dem Jahr 1950. Ein wichtiger Punkt seiner Ideologie ist die „Dianetik”, die eine Psychotechnik beschreibt. Mit ihr können angeblich alle Probleme des menschlichen Zusammenlebens behoben werden. Nach seiner Lehre soll die Gesellschaftsordnung durch Macht über Menschen und Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in ein totalitäres System umgewandelt werden.
Um als Organisation zu wachsen, nutzt Scientology verschiedene Strategien: Unter anderem versuchen sie, Menschen über Vereine anzuwerben. Beat und Yolanda Künzi sind das Gesicht hinter den Freien Anti-Scientology Aktivisten in der Schweiz. Sie informieren über Scientology im deutschsprachigen Raum. Das Auftreten Scientologys ist in ihren Augen vor allem eines: Manipulation und Täuschung. „Sie zeigen sich nicht transparent", erklärt Yolanda Künzi. „Die Tarnorganisation ‚Sag nein zu Drogen’, ist beispielsweise in Bayern sehr aktiv. Den Verein ‚Der Weg zum Glücklich sein’, trifft man oft auf der Straße. Sie erwähnen Scientology aber gar nicht, sondern nur den Verein.”
Die Vereine werben mit Suchthilfe und Leitfäden für ein besseres Leben. Wer ihnen beitritt, erfährt meist sehr spät, dass Scientology dahintersteckt. „Die Kurse, die bei Scientology angeboten werden, sind oft deutlich überteuert. Ein anderes Risiko ist, dass eine Abhängigkeit entstehen könnte, da die Weltanschauung eine Exklusivität beansprucht”, erklärt Sarah Pohl, Beraterin der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen in Baden-Württemberg.
Scientologys Einfluss auf Politik und Wirtschaft
Laut Verfassungsschutz will Scientology Kontrolle über Politik, Wirtschaft und Medien erlangen. Die Freien Anti-Scientology Aktivist*innen beschäftigen sich schon lange mit der Einflussnahme der Organisation. Sie vermuten: „Scientology ist überall. Sie beeinflussen die Stadtverwaltung und Politik." Laut Beat Künzi reiche der Einfluss bis in den deutschen Bundestag. „Wir gehen davon aus, dass Scientology anbietet, bestimmte Projekte von Politikern zu unterstützen und im Gegenzug Unterstützung für ihre Projekte fordert. Wir haben das ganze System aber immer noch nicht durchblickt”, erklärt er.
Scientology ist über Non-Profit-Organisationen, Vereine und Kirchen in ganz Deutschland tätig. Auch in der Wirtschaft sind bestimmte Berufsgruppen bei Scientolog*innen beliebt: „Zum Beispiel arbeiten viele Mitglieder im IT- Bereich oder im Coaching sowie in sozialen Bereichen. Einige arbeiten auch als Webdesigner, Nachhilfelehrer oder Heilpraktiker”, erzählt Yolanda Künzi.
Scientology als Immobilien-Hai in Baden-Württemberg
Die Scientology-Organisation eröffnete 2018 eine neue Kirche in Stuttgart und damit das größte deutsche Scientology-Zentrum. Laut Verfassungsschutz hat die Gemeinschaft in Deutschland rund 3.600 Mitglieder, von ihnen leben ungefähr 800 in Baden-Württemberg.
Besonders präsent zeigt sich die Gemeinde im Immobiliensektor. Er ist durchaus lukrativ und deshalb ein beliebtes Standbein für Mitglieder. Besonders in größeren Städten wie Stuttgart, München und Düsseldorf sind sie weit verbreitet. „Scientologen in der Immobilienbranche, auch die Immobilienhaie in Stuttgart, sind oft stolze Scientologen”, so Yolanda Künzi. „Sie erwähnen das nur eben nicht auf ihren geschäftlichen Webseiten – treten aber gerne auf internen, internationalen Events auf und lassen sich dort zum Teil auch fotografieren, weil sie sehr viel Geld spenden."
Besonders auffällig ist die Unterwanderung des Immobilien-Sektors in Baden-Württemberg. Eine Vielzahl an Unternehmen gehören der Scientology-Gemeinde an, geben das aber nicht öffentlich preis. Eine familiengeführte Immobilien-Firma aus dem Stuttgarter Raum zeigt besonders weitreichende Verbindungen, die sich bis nach Bayern zurückverfolgen lassen.
Ein Großteil der Immobilienfirmen von Scientology-Mitgliedern gehören der WISE-Organisation an. Das weltweite Unternehmensnetzwerk mit Standort in Los Angeles wurde gegründet, um die technischen Ziele von Scientology in Wirtschaft, Behörden und Verbänden durchzusetzen. Es besteht hauptsächlich aus Immobilienfirmen und Personalberatungen. Mit diesem Zusammenschluss verpflichten sich Unternehmen dazu, einen prozentualen Anteil ihres Einkommens an den WISE-Verband abzugeben.
Scientology muss transparenter werden
Laut Yolanda Künzi ist Scientology ein hochkomplexes System, das großen Einfluss auf Gesellschaft und Wirtschaft hat. Gleichzeitig handelt die Glaubensgemeinschaft aber intransparent und hält ihr Wirken geheim. „Es gibt so viele Abteilungen in diesem ganzen Kuchen und man muss jede einzelne durchleuchten, um das System zu verstehen. Das macht Scientology so gefährlich.” Der Anti-Scientology-Blog kann und möchte die Organisation nicht verbieten, erwartet aber, dass Scientolog*innen ihr Handeln transparenter offenlegen. „Sie sollen einfach dazu stehen, dass sie Scientologen sind”. Denn nur so können außenstehende Menschen frei entscheiden, ob sie Scientology beitreten oder sich bewusst davon distanzieren.
Scientology Stuttgart hat sich zu unserer Anfrage nicht geäußert.
Im Rahmen dieses Artikels hat das edit.-Magazin eine umfassende Netzwerksanalyse samt Datenerhebung vorgenommen. Der Datensatz ist auf Github verfügbar.