„Das erste Wort, das mir dazu einfällt, ist Freiheit.“
Laute Beats, grelle Lichter, ein Gefühl von Freiheit
Es ist Samstagabend, 23 Uhr. Sophia fängt gerade an, sich mit ihrer Freundin fertig zu machen, um in den Club zugehen. Sorgfältig wird noch der Lidstrich gezogen, dann geht es los. Mittlerweile ist es schon ein Uhr morgens. Die Schlange vor dem Club ist nicht allzu lange. Am Eingang werden die Taschen kontrolliert. Die Handykameras werden abgeklebt, damit keine Bilder gemacht werden können. So wird die Privatsphäre der Feiernden geschützt. Der Eintritt kostet 20 Euro. Zuerst wird der Club abgecheckt: Wo ist die Tanzfläche, wo die Bar, wo der Raucherbereich? Und am wichtigsten, wo ist die Toilette? Sophia holt sich ein Wasser an der Bar. Das einzige Getränk, das sie sich an diesem Abend kaufen wird. Danach geht es direkt auf die Tanzfläche, bis nach einer halben Stunde die erste Pause kommt. Ab aufs Klo. In der Kabine wird eine kleine Tüte mit einer blauen Pille herausgeholt und eine Hälfte mit dem eben gekauften Wasser heruntergeschluckt. Wir sind in einem Technoclub.
Techno: Der perfekte Ausgleich zum Alltag?
Sophia ist 20 Jahre alt, Jurastudentin, glückliche Hundemama und geht gerne zu Techno feiern. Dabei konsumiert sie auch Drogen. Wenn sie anderen erzählt, dass sie gerne zu elektronischer Musik feiern geht, ist sie oft mit einer Menge Vorurteilen konfrontiert. Das Feiern in Technoclubs ist für Sophia vor allem der „perfekte Ausgleich, um nicht komplett im Stress der Uni zu versinken“. Allerdings verbinden die meisten Menschen Techno mit Drogen, denn „Wer über Techno spricht, der spricht zwangsläufig auch über Drogen". So lautet zumindest ein Zitat aus einem Artikel des Zeit-Online-Magazins. Dabei sehen aber viele nicht, dass Techno noch so viel mehr sein kann.
Dicht an dicht stehen sie nebeneinander, tanzend, wie in Trance. Die Gesichter sind dem DJ zugewandt. Was links und rechts passiert, spielt keine Rolle. Die Lichter blitzen durch den Raum. Der Geruch von Schweiß liegt in der Luft. Jeder ist für sich. Doch irgendwie sind alle auch zusammen hier. Der Raum ist neblig und dunkel. Hier stehen nicht alle in Grüppchen zusammen, wie in anderen Clubs. Es wirkt eher wie ein großes Miteinander. Schaut man zur Seite, sieht man Menschen in Unterwäsche. In Technoclubs sieht Sophia die „coolsten Outfits“, die sie sich nur vorstellen kann. Das Beste, niemand schaut den anderen komisch an. Laut Sophia geht es genau darum: Alle können tun, was sie wollen. Anziehen, was sie wollen und sein, wer sie wollen. Dabei wird man von niemanden verurteilt. „Das erste Wort, das mir dazu einfällt, ist Freiheit“, so Sophia. Nach stundenlangem Tanzen den Sonnenaufgang mit ihren Freunden gemeinsam genießen, das ist Sophias schönster Techno-Moment.
Zeit für Akzeptanz
Oft ist Techno mit Drogenkonsum verbunden. In Stuttgart gibt es einige Drogenberatungsstellen, eine davon ist der Verein Release e.V.. Take ist eine Abteilung von Release e.V., sie sind vor allem für die Beratung zu Substanzen, Safer Use und Schadensminimierung auf Veranstaltungen zuständig. Dabei arbeiten sie nach der akzeptierenden Haltung. Auch sie sehen, dass der Community-Gedanke bei der elektronischen Musik teilweise da ist. Bei Techno herrscht häufig eine Kultur des gemeinsamen Erlebens. Laut Take sei die subkulturelle Technoszene eine Kultur, die sich um die Menschen innerhalb der Gemeinschaft kümmere. Auch die Musik trägt zu dem Gefühl der Offenheit und des Miteinanders bei. So gibt es kaum Songtexte bei den Technoliedern. Es geht nicht um Kriminalität oder sonstige Probleme, wie es bei vielen Rap-Texten der Fall ist. Der Beat spricht für sich alleine. Meist gibt es repetitive Rhythmen. Die Musik ist eine sehr körperbetonte, die Menschen beim Tanzen in einem tranceähnlichen Zustand versetzen kann. Über das Tanzen bekommen die Menschen einen Zugang und finden zu sich selbst. Verbunden mit der Atmosphäre bringt sie das in einen Zustand, den sie toll finden, erklärt Take-Mitarbeiterin Juliane Blanck. Techno geht auch ganz ohne Drogen. Bei den Tracks gibt es zwar die klassischen Titel mit Interpret und Namen, jedoch verschmilzt alles zu einem großen „Gesamtkunstwerk“, laut Blanck. Die ganze Musik ist so schon zu einem großen miteinander verschmolzen.
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Safe Space Techno
Wenn Sophia zu Techno feiern geht, nimmt sie gerne Drogen wie MDMA. Es ist die häufigste Droge, die ihr in der Technoszene begegnet. MDMA setzt das Glückshormon Serotonin frei. Die Menschen sind fröhlicher, offener und kommunikativer. Das hat auch Sophia erlebt, als sie auf einer Treppe im Club saß. Eigentlich wollte sie sich nur kurz erholen, mit einer Zigarette in der Hand. Trotzdem hält ein vorbeilaufender Mensch an und fragt, ob alles in Ordnung sei. Es ist aber nicht nur ein Nehmen, sondern auch ein Geben. Sieht man jemanden, der auf dem Boden sitzt, dem es augenscheinlich nicht gut geht, wird das Wasser aus der eigenen Flasche angeboten „weil man einfach teilt“, so Sophia. Im normalen Club würde man mir „den Vogel zeigen“, setzt sie noch nach. Ihrer Meinung nach ist die Teilbereitschaft in Technoclubs viel größer als in anderen Clubs. Das läge vor allem daran, dass man durch die Drogen die Gefühle anderer besser wahrnimmt, so Sophia. Außerdem sei man emotionaler und in einem verletzlichen Moment. Weil jeder so ist, ist man auch respektvoll zueinander, fügt Sophia hinzu. Dadurch, dass jeder in derselben Situation ist, teilt man dieselbe Erfahrung. Techno verbinde die Menschen.
Take klärt auf
Take bestätigt, dass Substanzen wie MDMA (Ecstasy) durch die Freisetzung von Serotonin empathogen wirken und damit das subjektive Gemeinschaftsgefühl stärken. Das wiederum führt dazu, dass Menschen sich miteinander verbunden fühlen. Es besteht der Drang, sich umeinander zu kümmern. Das alles unterstützt das Gefühl eines Safe Spaces. Allerdings warnt Take auch: „Es gibt kein Rausch ohne Risiko. Es gibt keine Wirkung ohne Nebenwirkung“. Zwar stimmt es, dass das Glücksgefühl Serotonin durch den MDMA-Konsum ausgeschüttet wird, allerdings leiden die Synapsen durch die unnatürlich hergeführte Serotoninausschüttung. Sind die Serotoninspeicher danach erstmal leer, dauert es bis zu einigen Wochen, bis sie wieder in ihrem Ursprungszustand sind: Eine depressive Phase kann folgen. Take setzt sich vor allem für einen sichereren Umgang mit Drogen ein. Man findet sie daher auch tatsächlich in Technoclubs vor Ort. Dort hat das Team Stände mit Safer-Use-Material.
Es ist mittlerweile fünf Uhr morgens, die Sonne geht langsam wieder auf. Sophia sitzt auf einer Bank. Sie wartet auf die U-Bahn, die sie nach Hause bringt. Dabei denkt sie an den Abend zurück. Für sie ist Techno vor allem eins: ein großer Safe Space. Nicht die Drogen stehen im Vordergrund, sondern das Gefühl, das die Technokultur vermittelt. Drogen spielen dabei zwar auch eine Rolle, aber sie sind nicht der Fokus. Sophia findet es sehr schade, dass immer so negativ auf die ganze Szene geschaut wird. Denn laut ihr ist Techno viel mehr als die Klischees, die jeder kennt. Zu Hause wartet ihr Hund auf sie. Am Montag geht es wieder in die Uni und der Alltag kehrt wieder ein, bis es in einigen Wochen wieder heißt: Auf gehts, Techno feiern.
*Die Protagonistin wurde anonymisiert.
*Die Redakteurin steht in einem persönlichen Verhältnis zu der Protagonistin.