Transfermarkt 5 Minuten

Die versteckten Riesen der Bundesliga

Simon Rolfes, Marcus Rosen und Jörg Schmadtke stehen jeweils ausgeschnitten und mit jeweils einer roten, blauen und grünen Umrandung vor den Logos von Bayer 04 Leverkusen, TSG 1899 Hoffenheim und VfL Wolfsburg. Hinter ihnen ist ein weißer Hintergrund mit grauen Netzwerken.
Simon Rolfes, Alexander Rosen und Jörg Schmadtke sind bei ihren Vereinen für die Transfers verantwortlich. | Quelle: Christian Mittweg
08. Dez. 2023
Der deutsche Fußball wird von den Bayern und Borussia Dortmund dominiert. Meisterschaften sind aber nicht alles. Den Transfermarkt der Bundesliga beherrschen Vereine aus kleinen Städten mit finanzstarken Partnern.

Sommer 2021 – der FC Bayern München streckt die Meisterschale in die Höhe. Für Fußballfans in ganz Deutschland ist dieser Anblick Normalität: Zum neunten Mal in Folge sind die Bayern das Maß aller Dinge in der Bundesliga. Neben Ruhm und Ehre spült der Erfolg den Bayern auch viel Geld in die Taschen. Geld, was im Fußball vor allem für Spieler ausgegeben wird. 

Zwei Mal pro Saison dürfen Vereine Spieler abgeben oder einkaufen. Es sind aber nicht nur die Top-Klubs aus München und Dortmund, die den Transfermarkt bestimmen. „Es ist wie bei der Nahrungskette. Die funktioniert auch nur, weil jeder Teil seinen Part spielt“, erklärt Alexander Binder, Redaktionschef von transfermarkt.de. Die Bayern stehen an der Spitze dieser Kette. Im Vergleich mit anderen Vereinen ist der Serienmeister auf dem Transfermarkt aber eher gemächlich unterwegs. Nur wenige Kicker  verlassen den Klub, es kommen auch nur wenige dazu. Das liegt am Erfolg. Denn wer geht schon gerne, wenn man jedes Jahr gewinnt. „Wenn du keine Spieler abgeben musst, musst du auch keine neuen dazu holen“, so Binder. Ganz anders sieht es bei den restlichen Vereinen aus. Hinter der Top-Riege lauern die versteckten Riesen.

Ein gallisches Dorf mit Perspektive

Einer dieser Riesen sitzt in der Kleinstadt Sinsheim. Die TSG 1899 Hoffenheim war früher ein normaler Dorfverein. 2008 stiegen sie in die Bundesliga auf, zehn Jahre später spielten sie in der Champions League. Verantwortlich dafür ist der Unternehmer Dietmar Hopp: Er betrieb Aufbauarbeit und investierte bereits 1989 viel Geld in seinen Heimatklub. Sportdirektor Alexander Rosen verantwortet seit 2013 die Transfers der Hoffenheimer – und hat dabei einiges zu tun. In den letzten zehn Saisons gehörte die TSG mit 97 Zu- und 200 Abgängen zu einem der aktivsten Vereine auf dem Transfermarkt.  

Das Ego-Netzwerk der Transferpartner der TSG 1899 Hoffenheim.
Das Netzwerk der Transferpartner der TSG Hoffenheim. Die Dicke der Linien zeigt, wie häufig mit dem jeweiligen Partner gehandelt wurde.
Ego-Netzwerk der Transferpartner des FC Bayern München.
Das Netzwerk der Transferpartner des FC Bayern München. Die Dicke der Linien zeigt, wie häufig mit dem jeweiligen Partner gehandelt wurde. | Quelle: Luis Bracht
Alle Abkürzungen der Vereine und Ligen aus den letzten beiden Infografiken.
Alle Abkürzungen der Vereine und Ligen auf einem Blick. | Quelle: Luis Bracht

Diese Aktivität lässt sich mit der Philosophie des Vereins erklären. Die TSG sei ein Ausbildungsklub, meint Binder. Ihre Strategie: Junge Talente früh entdecken, fördern und gewinnbringend verkaufen. Für diese jungen Talente bieten Vereine wie Hoffenheim optimale Bedingungen: Sie können auf viel Spielzeit hoffen und trotzdem unter professionellen Voraussetzungen trainieren. Für ambitionierte Fußballprofis ist es daher unwichtig, dass Hoffenheim auf der Deutschlandkarte nur klein eingezeichnet ist.

Selbiges gilt für die Standorte Wolfsburg und Leverkusen. Bei den ehemaligen Werksmannschaften der Konzerne Volkswagen und Bayer herrscht ebenfalls ein stetes Wechselspiel. Die „Gründerväter“ des VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen sind auch heute noch die wichtigsten Sponsoren und sorgen für finanzielle Sicherheit. Ähnlich wie bei Hoffenheim setzen die Klubs vermehrt auf die Ausbildung von jungen Talenten – diese kommen nicht zwingend aus Deutschland.

Über die Grenzen hinaus

In einer globalisierten Welt ist auch der Blick ins Ausland wichtig, um sportlich mitzuhalten. Auf dem gesamten Erdball suchen Scouts nach den Stars der Zukunft. Auch hier sind gewisse Tendenzen zu erkennen: Leverkusen und Hoffenheim scheinen insbesondere auf dem amerikanischen Kontinent gut vernetzt zu sein. 

Unter anderem zuständig für die Kaderplanung bei Bayer 04 Leverkusen ist Simon Rolfes. Der ehemalige Bundesliga-Profi und Nationalspieler ist seit Ende 2018 Direktor Sport bei der „Werkself“ und nennt gleich mehrere Faktoren, die ausschlaggebend für diese Vernetzung sind. „Bayer hat historisch gesehen immer viele Südamerikaner, vor allem Brasilianer geholt und sich dadurch ein Standing auf dem Kontinent erarbeitet“, erklärt Rolfes. Außerdem spiele es eine Rolle, ob die Fußballkultur des Landes zur Spielphilosophie des Vereins passt. Der Leverkusener Spielstil ist seit Jahren geprägt von hohem Ballbesitz gepaart mit einem schnellen Flügelspielern. Gerade für Letzteres sind viele Spieler aus Brasilien oder Argentinien prädestiniert.

Doch neben dem südamerikanischen Markt sehen sich Rolfes und Co. auch gerne bei den Nachbarländern, insbesondere in Frankreich, um. Generell ist ein Trend zu erkennen, dass junge Talent aus den französischen Profi-Ligen den Sprung in die Bundesliga wagen. Doch auf zu vielen Hochzeiten will man in Leverkusen nicht tanzen. „Es ist besser, in wenigen Märkten die Besten zu sein, als überall irgendwie nur dabei“, gibt Rolfes zu verstehen. So hat jeder Verein, seine eigenen Kerngebiete, in denen sie gut vernetzt sind und sich Vorteile gegenüber anderen Teams verschaffen.

Die Bundesliga – das Hoffenheim von Europa

Die Bundesliga ist für Talente selten die Endstation. Stattdessen geht die Reise weiter nach Großbritannien, Italien oder Spanien. Insbesondere die englischen Vereine haben in den vergangenen Jahren ordentlich Geld in die Bundesliga gespült. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Durch TV-Verträge in Milliardenhöhe und reiche Klub-Besitzer verfügen der FC Chelsea, Manchester City und Co. über viel Geld: Im vergangenen Sommer gaben die Top-Vier-Klubs im Schnitt 144 Millionen Euro für Spieler aus. Auch in der Bundesliga ist durch diese Entwicklung immer mehr Geld im Umlauf.

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Dieses Netzwerk zeigt die Transferpartnerschaften, bei denen zehn Millionen Euro oder mehr transferiert wurden. | Quelle: Luisa Käppele, Sina Kounath, Christian Mittweg

Nicht nur Hoffenheim, Leverkusen und Wolfsburg, sondern die gesamte Bundesliga hat sich zu einem Ausbildungslager für europäische Spitzenklubs entwickelt. Die Bundesliga spiele ganz oben mit, wenn man sich die Marktwertsteigerung der Talente ansehe, so Binder. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Die TSG Hoffenheim hat durch Spielertransfers mehr Geld eingenommen als ausgegeben. 

Alles nur gekauft?

Vereine mit finanzstarken Sponsoren im Rücken müssen sich von diversen Seiten stets den Vorwurf gefallen lassen, sie hätten sich Erfolg nur erkauft. Mit diesen Anfeindungen wird vor allem Dietmar Hopp konfrontiert. Er gerät immer wieder ins Fadenkreuz jener, die ihre Stimme gegen die Modernisierung und Kommerzialisierung im Fußball erheben. Selbstverständlich wäre die TSG ohne das Geld von Hopp und seinem IT-Unternehmen SAP nicht da, wo sie jetzt steht. Allerdings hat Hoffenheim im Gegensatz zu diversen Klubs aus England das Geld nicht aus dem Fenster geschmissen, sondern gezielt in die Infrastruktur und das Scouting des Vereins investiert. So schufen die Verantwortlichen die Basis für eine unabhängige Zukunft. „Hoffenheim hat mit drei, vier Transfers den Klub selbstständig von Hopp gemacht“, erklärt Binder und meint damit unter anderem den Verkauf von Brasilianer Roberto Firmino an den Liverpool FC, der der TSG allein über 40 Millionen Euro einbrachte. Selbstverständlich legen nicht alle Spieler so eine Entwicklung hin. „Die haben sehr viele Spieler und Talente geholt, von denen auch sehr viele in der Bundesliga gefloppt sind“, erklärt Binder. 

Hinzu kommt, dass Bayer 04, die TSG und der VfL durch ihre Teilnahme an internationalen Wettbewerben zusätzliches Geld verdienen. Dadurch konnten sich sowohl Leverkusen als auch Wolfsburg unabhängiger von Bayer und Volkswagen machen. Die drei Vereine treten fast jedes Jahr in der Champions- oder Europa League an. Sollte am Ende einer Saison nicht das internationale Geschäft herausspringen, ist sich der Sponsor allerdings nicht zu schade, finanzielle Unterstützung zu liefern: Obwohl der VfL Wolfsburg 2017 und 2018 in die Relegation musste, kaufte der Klub in den Folgesaisons jeweils kräftig auf dem Transfermarkt ein. Ohne ein Unternehmen wie Volkswagen im Rücken wäre das nicht möglich.

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Die internen Transfers der Bundesliga. | Quelle: Christian Mittweg

Es ist schlussendlich egal, wo das Geld herkommt: ob von einem Mäzen, wie Hopp es ist, einem Unternehmen wie Volkswagen und Bayer oder aus den Einnahmen der internationalen Wettbewerbe. Um auf dem Transfermarkt eine dominante Rolle zu spielen, ist Geld die Grundvoraussetzung. Denn mit Geld kann man sich einerseits eine stabile Infrastruktur sowie weltweite Scouting-Netzwerke aufbauen und andererseits in zahlreiche Spieler investieren – selbst, wenn von denen nur jeder Zehnte ein höheren Weiterverkaufswert einbringt. Wenn dann noch der sportliche Erfolg folgt, muss man sich fast schon die Frage stellen, wie lange Vereine wie die TSG 1899 Hoffenheim, Bayer 04 Leverkusen und der VfL Wolfsburg noch als „versteckte“ Riesen bezeichnet werden können.

Die Transfers der Bundesliga wurden im Rahmen einer Netzwerkanalyse im Zeitraum zwischen 2010/11 und 2010/21 betrachtet und ihre Netzwerkstrukturen miteinander verglichen. Als Datengrundlage diente die Transfer-Datenbank des Hamburger Portals transfermarkt.de. Dazu wurden unter anderem Teilnetzwerke nach bestimmten Parametern erstellt, um die Daten einfacher zu analysieren.
Alle erhobenen Daten findet man auf diesem GitHub-Profil.

Im Rahmen dieses Artikels wurden zudem Alexander Binder (Redaktionsleiter bei transfermarkt.de) und Simon Rolfes (Direktor Sport bei Bayer 04 Leverkusen) interviewt.