Protest 3 Minuten

Wem gehört der CSD?

Eine Gruppe Menschen hält ein SPD-Banner und SPD-Fahnen auf dem CSD.
Mehr als 9 Millionen Menschen in Deutschland sind queer. Nicht alle von ihnen wollen, dass Parteien bei CSDs an ihrer Seite auftreten. | Quelle: Bethel Fath
21. Mai 2025

Der CSD ist mehr als ein Fest. Er ist politischer Protest und richtet sich an die, die etwas verändern können - aber vielleicht nicht wollen. Ein Brief an Parteien über Verantwortung, Geschichte und die Frage: Wem gehört der CSD eigentlich?

Liebe Parteien, die sich mit Regenbögen schmücken,

mein erster Christopher Street Day (CSD) war mehr als ein Fest - er war ein Schritt ins Licht. Es heißt nicht ohne Grund „Closet“, der Ort, wo viele queere Menschen leben, solange sie sich nicht ganz zeigen können oder wollen. Es ist dunkel und staubig und eng da drin. Mitten im Hochsommer, zwischen schwitzenden, tanzenden Menschen atmete ich das erste Mal frische Luft. Überall schillerten Flaggen, Protestschilder, queere Menschen – und ihr. FDP, SPD, Die Grünen… Ich war irritiert. Zwischen all den Farben wirkten eure Logos leblos.

Fragiler Fortschritt

Versteht mich nicht falsch - ich weiß, dass schon viel passiert ist. Auch ihr habt dazu beigetragen – die Ehe für alle, das Selbstbestimmungsgesetz und vieles mehr. Dafür bin ich dankbar. Trotzdem bleiben wir verletzlich und unsere Rechte für euch entbehrlich. Ihr könnt diese nicht nur geben, sondern auch nehmen - das System rettet sich zuerst selbst. Daher schließen euch Bündnisse wie Critical Pride bei ihren Prides konsequent aus.

Warum heißt es eigentlich "Christopher Street Day"?

In der Christopher Street in New York liegt das Stonewall Inn – eine Bar mit überwiegend queerer Kundschaft. Am 28. Juni 1969 fand dort eine Polizei-Razzia statt, wie sie damals in queeren Bars häufig vorkam. Doch diesmal leisteten die Gäste Widerstand – und wurden zu Aktivist*innen. Die Aufstände gelten heute als Beginn der modernen queeren Bürgerrechtsbewegung. Im deutschsprachigen Raum wurde der Straßenname zur Bezeichnung für die heutigen Gedenk- und Protestveranstaltungen. Er erinnert daran, wo Pride eigentlich herkommt.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

So bunt Deutschlands Anstrich im Pride-Monat auch ist, lassen sich die Probleme darunter nicht überdecken. Viele wollen sie angehen, auch in euren Reihen. Doch Minderheiten kämpfen in Demokratien oft gegen Windmühlen. Deswegen sind Verbündete für uns unverzichtbar. Sich für sie einzusetzen, habe nichts mit Politik zu tun, findet Betina Starzmann aus dem Vorstand von Stuttgart Pride, sondern mit Menschlichkeit. Gerade queere Unterorganisationen, die ihr fast alle habt, stecken voller Potenzial und motivierter Individuen, die mir Hoffnung geben und zeigen, was möglich ist. Meine Kritik richtet sich nicht an sie – sondern an die Strukturen, in denen sie agieren, die Veränderung oft bremsen, wo sie sie eigentlich vorantreiben sollten.

"Das hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit Menschlichkeit."

Betina Starzmann, Vorsitzende bei Stuttgart Pride

Mehr als ein Fest

Bei Stuttgart Pride darf nur teilnehmen, wer sich zu den Grundsätzen des Vereins bekennt. Mir bleibt trotzdem ein mulmiges Gefühl im Magen, wenn ich euch dort sehe. Früher dachte ich, dass ein demokratischer Staat gewonnene Rechte nicht wieder zurücknimmt. Doch jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich mache mir Sorgen um die Zukunft – meine, die unserer Trans*-Geschwister, die queerer Geflüchteter. Während ich mir den Kopf zerbreche, ob ich noch heiraten darf, wenn ich dafür bereit bin, lest ihr nach, wie groß eure Logos sein dürfen. Ja, Sichtbarkeit und Freude sind legitimer und wichtiger Protest – doch Pride war einst Kampf. Eine direkte Anklage an euch, die politischen Mächte. Viel hat sich seitdem geändert, mit eurer Hilfe. Jedoch seid ihr nur ein Mosaikstein im großen Bild, denn die Dynamik begann nicht im Bundestag - sie begann auf der Straße. In queeren Bars und Köpfen. Auf Protesten und Partys. Und nicht mit euch, sondern wegen euch. 

Ein Protestschild mit der Aufschrift "You only gave us rights because we gave you riots"
Queere Rechte sind kein Geschenk, sondern ein hart umkämpfter Sieg. Doch 1.785 Straftaten gegen queere Menschen im Jahr 2023 zeigen, dass wir noch nicht am Ziel sind.
Quelle: IG CSD Stuttgart e.V.

Regenbögen reichen nicht.

Der Kern der queeren Bewegung lag schon immer in queeren Stimmen. Hört ihnen zu! Seid an unserer Seite – nicht nur, wenn Kameras dabei sind.  Wenn ihr bei uns Raum einnehmt, speist uns nicht mit regenbogenfarbenen Logos und gratis Kondomen ab. Wer mitläuft, muss mittragen. Wenn ihr das nicht könnt, überdenkt, warum ihr teilnehmt – und ob ihr das weiterhin tun solltet. Der CSD gehört uns. Er ist kein Werbeblock, sondern ein Protest – und ihr seid dort Gäste. Gäste, die willkommen sind, solange sie uns auch willkommen heißen.

Mit Zuversicht,

Angelina

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