Wenn Body Positivity zur Gefahr wird

„Body Positivity“ ist in unserer Gesellschaft längst kein Fremdwort mehr – und das ist auch gut so. Ursprünglich entstand die Bewegung bereits in den 1960er-Jahren in den USA in der sogenannten „Fat Acceptance“-Bewegung. Der Kerngedanke ist simpel: klassische Körperideale abschaffen und jede Körperform akzeptieren – denn jeder Mensch ist richtig, so wie er ist.
Dennoch geht die „Body Positivity“ mittlerweile zum Teil in die falsche Richtung. Natürlich waren sowohl das damalige „Size Zero“-Ideal als auch die 90/60/90-Maße gefährlich und ungesund. Doch das Verherrlichen jeglicher, auch ungesunder Körperformen und Operationen auf den Social-Media-Plattformen ist eine problematische Entwicklung.
Zwischen Akzeptanz und Verharmlosung
Das eigentliche Prinzip der Bewegung ist klar: Jeder Körper ist gut, so wie er ist. Und ja – jeder Mensch ist unterschiedlich. Body Shaming, jede Form von Verurteilung und Diskriminierung darf nicht hingenommen werden. Dagegen zu kämpfen, bleibt wichtig und richtig.
Doch der neue Trend, dass jeder Körper nicht nur gleich wertvoll, sondern auch gleich gesund sei, zieht gravierende Folgen mit sich. In den sozialen Medien wird zum Beispiel Übergewicht längst nicht mehr nur akzeptiert – es wird verharmlost. Zum Beispiel Tess Holliday, ein Plus-Size-Model aus den USA, wird von vielen Ärzt*innen kritisiert. Sie würde kaum die Risiken ihres Übergewichts öffentlich auf ihren Social-Media-Kanälen thematisieren. Natürlich ist es wichtig, dass auch stark adipöse Menschen auf den Plattformen zu sehen sind und die Nutzer*innen sich mit ihnen identifizieren können. Es gibt schließlich nicht nur Models und Fitness-Influencer*innen, mit stählernem Körper. Dennoch ist und bleibt Adipositas eine Krankheit, die nicht unterschätzt werden darf. Von Adipositas wird offiziell ab einem Body-Mass-Index von 30 gesprochen und geht mit einem erhöhten Risiko verschiedener Erkrankungen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen einher. Wenn Menschen unter dem Deckmantel der Body Positivity ermutigt werden, diese Krankheit einfach hinzunehmen, statt gegen sie anzugehen, wird es gefährlich. Gerade Kinder und Jugendliche verbringen einen Großteil ihres Alltags auf sozialen Plattformen. Gleichzeitig ist bereits fast jedes zehnte Kind in Deutschland übergewichtig und fast jedes siebzehnte adipös. Das darf nicht ignoriert werden.
Ja, es stimmt. Niemand sollte sich für seinen Körper schämen. Jeder darf ihn zeigen, so wie er es möchte. Und ja, wir müssen aufhören, Schönheitsidealen hinterherzulaufen und uns unwohl in der eigenen Haut zu fühlen. Aber Akzeptanz darf nicht bedeuten, die Gesundheit zu vergessen. Menschen müssen ermutigt werden, sich für ihren Körper einzusetzen – nicht gegen ihn. Auch wenn das zum Beispiel Ab- oder Zunehmen bedeutet. Denn die Gesundheit steht an erster Stelle.
Zwischen Selbstliebe und Selbstoptimierung
Doch die falsche Richtung der Body Positivity Bewegung zeigt sich nicht nur beim Thema Gewicht. Eine weitere Schieflage: die Flut an Schönheitsoperationen, häufig unter dem Deckmantel der „female empowerment". Die Schönheitsoperationen werden thematisiert und enttabuisiert. Auch hier gilt: Jeder darf mit seinem Körper das tun, was er möchte. Und ja, das ist nicht falsch. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Wenn sich jemand die Lippen aufspritzen lassen will, dann soll er das tun. Ganz nach dem Motto: „You do you.“
Doch auch Schönheitsoperationen dürfen nicht zur Normalität verklärt werden. Meist sind sie mit erheblichen Risiken verbunden. Zwischen 2017 und 2022 haben sich die ästhetischen Eingriffe in den USA auf rund 9,2 Millionen fast verdoppelt und das ist kein Wunder: Viele Stars sprechen offen über ihre Operationen, werben sogar für ihre Ärzt*innen – und regen so zum Nacheifern an. Doch es ist und bleibt ein schwerwiegender Eingriff – kein Wellness-Termin. Und das muss klar formuliert werden.
Body Positivity bleibt eine sehr wichtige Bewegung, die unsere Gesellschaft maßgeblich den Weg zu mehr Akzeptanz und Selbstliebe geebnet hat. Dennoch sollte diese auf Basis der Gesundheit stattfinden und Selbstfürsorge höchste Priorität haben.
Wie können wir dieser Entwicklung entgegenwirken? Die Medien sollten aufhören, ungesunde Extreme zu vermarkten, denn weder „Size zero“ noch starkes Übergewicht sind gesund. Auch die Vermarktung und Verherrlichung der Schönheitsoperationen muss aufhören und die entsprechenden Risiken müssen genannt werden. Der eigene Körper ist gut, so wie er ist. Er verdient Respekt, Aufmerksamkeit und wenn nötig auch Veränderung.