Gefallen um jeden Preis
In einem Gespräch mit einer mir bekannten Psychotherapeutin über das "People Pleasing" erfahre ich viel über meine bereits gemachten Erfahrungen.
Es ist mein vierter Geburtstag. Ich stehe mit meinen Freundinnen im Spielzimmer unseres Kindergartens. Erwartungsvolle Kinderaugen schauen mich von links und rechts an. Während mein Geburtstagstisch vorbereitet wird, soll ich mit zwei Freundinnen in den Garten gehen. Ich freue mich. „Sag schon Mia, wen möchtest du mit rausnehmen?“, fragt mich meine Kindergartenfreundin Emma* fordernd. Ein unwohles Gefühl macht sich in meinem Bauch breit. Denn Mama habe ich am Morgen schon aufgeregt erzählt, dass ich Anna* und Lilli* mitnehmen werde, nicht Emma. Doch Emma und auch Tina wirken auf mich als gingen sie davon aus, dass sie mich begleiten dürfen. Ich bekomme ganz wacklige Knie: Ich möchte die beiden auf keinen Fall enttäuschen und sie wären sicher sauer, denke ich. Vielleicht möchten sie danach nicht mal mehr etwas mit mir unternehmen. Mein Kopf ist plötzlich voller Sorgen. Also entscheide ich mich kurzerhand für Emma und Tina.
People Pleaser sind Menschen, die den Erwartungen Anderer gerecht werden möchten. Sie beschäftigen sich oft mit der Frage, wie sie sein müssen, um diesen Menschen zu gefallen. Sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse zurück und richten ihr Verhalten, ihre Denkweise, aber auch ihre Gefühle nach ihren Mitmenschen.
Mein Wunsch, allen gerecht zu werden
Ich würde mich selbst als einen sehr emotionalen und empathischen Menschen beschreiben. Schon in meiner Kindheit habe ich mich mehr um das Wohlbefinden anderer gekümmert. Ich bin in die Kinofilme gegangen, die meine Freundinnen schauen wollten und bin jeder Streitsituation so gut es geht aus dem Weg gegangen. Egal ob Familie, Freund*innen oder Partner: Ich sehe es als meine Aufgabe an, allen gerecht zu werden. In fast jeder Situation gebe ich nach und mache das, was andere gerne tun würden, denn ich möchte niemanden zur Last fallen. Ich habe nie hinterfragt, ob das gesund ist.
People Pleasing ist ein Bindungsverhalten, deswegen zeigen dieses Verhalten auch so viele Menschen. Es geht darum, die Bindung zu stabilisieren. Das hilft vor allem kurzfristig. Auf lange Sicht ist People Pleasing für eine Beziehung nicht hilfreich. Denn bei vielen Menschen ist das Verhalten so stark ausgeprägt, dass sie sich ständig wie ein Chamäleon anpassen, um ihren Mitmenschen zu gefallen. Sie haben oft gelernt, sich nicht mehr zu fragen, was sie eigentlich wollen. Dadurch kommen sie selbst in einer Freundschaft, oder Beziehung, gar nicht mehr richtig vor.
Wenn die eigenen Bedürfnisse ignoriert werden
Sprung in die siebte Klasse. Es ist ein kalter Regentag und ich gehe schon mit einem unwohlen Gefühl in die Schule. Zwei meiner Freundinnen liegen seit Tagen im Streit. Es geht um mich und eine der Freundinnen. Der Vorwurf: Wir würden nur noch etwas zusammen machen und ich hätte keine Zeit mehr für meine andere Freundin. Ich habe Angst mit der Situation konfrontiert zu werden. Am liebsten wäre ich zu Hause geblieben. Auch wenn ich innerlich meine Meinung zu den Streitigkeiten habe, möchte ich mich nicht positionieren und die andere Person dadurch womöglich verärgern. Ich komme vor dem Klassenzimmer an und die Stimmung ist gedrückt. Ich fühle mich unwohl und würde am liebsten ganz schnell wegrennen. Ich stelle mich absichtlich zu dem Teil meines Freundeskreises, der nichts mit dem Streit zu tun hat, damit ich auch bloß nicht darauf angesprochen werde.
In der großen Pause kommt meine Freundin dennoch auf mich zu. Wir beide sind zwar befreundet, charakterlich, aber sehr unterschiedlich: Sie sagt wenn ihr etwas nicht passt, ob gerechtfertigt oder nicht. Sie lässt einen immer wissen, was sie denkt. Mich schüchtert das oft ein – Ich kann schwer dagegenhalten. Ich denke, dass sie wahrscheinlich weiß, dass ich ihr nicht widersprechen werde und sie deswegen zu mir kommt. Doch in der jetzigen Situation konfrontiert sie mich nicht mit dem Konflikt, sondern fragt mich, ob wir etwas zusammen unternehmen wollen. Innerlich ist ihr sicher bewusst, was sie damit in mir anrichtet.
Vielleicht aber auch nicht – Vielleicht beschäftige ich mich so sehr mit den Gefühlen Anderer, wie die meisten es nie tun würden. Ich bin oft davon überzeugt, dass jede*r sich so viele Gedanken über eine Situation macht, wie ich. Erst dadurch wird diese oft unangenehm.
Wir stehen immer noch voreinander und meine Freundin schaut mich ungeduldig an. Mir ist ganz flau im Magen. Wenn ich jetzt nein sage, würde ich ihr mit ihrer Theorie, keine Zeit für sie zu haben, recht geben. Aber ich traue mich nicht, ihr ehrlich zu sagen, warum ich mich nicht mit ihr treffen möchte. "Natürlich können wir uns treffen", sage ich. Meine Sorgen überkommen mich. Den Rest des Schultages verbringe ich damit, mich selbst schlecht zu reden, weil ich mich nicht für meine andere Freundin und mich eingesetzt habe.
In dem Umfeld, in welchem man gelernt hat, sich anzupassen, anstatt seine eigene Meinung konfrontativ zu vertreten, ist es am schwierigsten, mit dem People Pleasing aufzuhören. Dort ist es besonders anspruchsvoll für Betroffene, Bedürfnisse abzuwägen. Ist das eigene Bedürfnis wichtiger oder das der Anderen? Es gibt mehrere Faktoren, wovon das abhängt, zum Beispiel, wie feinfühlig jemand für die Erwartungen anderer ist.
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Verschiebe deine Sorgen nicht auf morgen
Auch heute habe ich noch die Sorge, meinen Mitmenschen nicht gerecht werden zu können. Freund*innen in der Heimat, das vielseitige Student*innenleben – überall ist immer etwas los. Ich habe nicht das Bedürfnis, alles miterleben zu müssen, aber die Angst, Leute, die mir wichtig sind, zu enttäuschen. Sie könnten das Gefühl vermittelt bekommen, dass ich kein Interesse mehr an ihnen hätte. Also entscheide ich mich doch dafür, die eine Student*innen Party zu besuchen, auch wenn mir mein Körper eigentlich signalisiert, dass ich den Abend lieber für mich verbringen sollte. Und wenn ich mich doch für den ruhigen Abend entscheide, dann mit einem schlechten Gewissen meinen Freund*innen gegenüber.
Es ist wichtig, sich im Alltag den verschiedenen Situationen zu stellen, um die Erfahrung zu machen, dass sich eben nicht alle von einem abwenden. Es ist auszuhalten, wenn Leute vielleicht mal unzufrieden mit dem sind, was man selbst will. Das Gleiche gilt für Schuldgefühle und Ängste vor Ablehnung: Sie werden nur weniger, wenn man lernt, sie auszuhalten und wenn man die Erfahrung macht, dass es für die anderen in Ordnung ist, wenn man auch mal "Nein" sagt.
Meine Meinung ist wichtig
Vermutlich werde ich noch in Jahren in meinem Bett liegen und mir den Kopf über die verschiedensten Situationen zerbrechen. Aber trotzdem versuche ich langsam mich in kleinen Konflikten für meine eigene Meinung stark zu machen. Da war neulich zum Beispiel dieser Moment, als mich eine Person mit einem Vorwurf konfrontierte, den ich keinen falls so stehen lassen konnte.
Es ist wichtig zu üben, die eigene Meinung klar zu äußern. Erstmal in leichteren Situationen, wenn es um Menschen geht, mit welchen der Kontakt nicht so eng ist. Es fühlt sich anfangs vielleicht doof an, weil es eine Verunsicherung mit sich bringt. Danach fühlt es sich aber meistens besser an, weil man das gemacht hat, was man wirklich möchte.
Also habe ich das kommuniziert. Auch wenn es anfangs schwer war und es wohl die unangenehmsten Minuten seit langem waren, haben wir uns am Ende ausgesprochen. Mir ist dabei ein großer Stein vom Herzen gefallen. Es hat sich gut angefühlt und ich war stolz darauf, für mich selbst eingestanden zu haben. Ich muss mich öfter fragen, was ich eigentlich brauche und was mir wichtig ist.
*Namen wurden nachträglich von der Redakteurin geändert