„Illustrator*innen bieten mit ihrer Arbeit ein Produkt an, aber ein Stück weit auch sich selbst als Person.“
Pinselstifte und Lösungsfindungen
Eine kleine Wendeltreppe führt hinauf zum Dachboden. Im Inneren des Raumes fällt sofort der Postkartenständer auf, der gleich rechts in der Ecke der Dachschräge steht, voll mit bunten Illustrationen. In der Luft liegt der Geruch von Farbe, Papier und den Holzdielen der Wände. Tageslicht fällt schräg in den Raum, auf den Holzdielenboden und die Zeichnungen, die von vereinzelten Sonnenstrahlen hervorgehoben werden. Hier und da stehen die Bilder auf dem Boden, liegen Kartons voll mit Drucken und stehen Regale voller Bücher. Dort, in ihrem Atelier auf dem Dachboden, arbeitet Franziska Uhlig. Sie ist Illustratorin und Grafikdesignerin.
Auf dem Zeichentisch finden sich Stifte in Dosen, Papierbechern und gemusterten Stiftehaltern. Überall häufen sich Papiere und Notizblöcke. „Auf der Welt, um Gedichte zu zeichnen, außergewöhnliche Menschen zu treffen und mit Stift und Computer eins zu sein“. So beschreibt sich Franziska Uhlig auf ihrer Website. Nach dem Grafik-Studium und der Arbeit für Digitalagenturen lebt und arbeitet sie heute in Stuttgart. Für ihren Beruf kollaboriert sie mit kleinen Unternehmen und kreativ Schaffenden, illustriert für Magazine und Agenturen oder ihren Onlineshop. Hin und wieder stellt sie ihre Illustrationen auch aus. Die Illustration ist schon immer ein Teil ihres Lebens. „Ich bin in der DDR aufgewachsen und habe immer noch Erinnerungen an die Bilder der Kinderserien und Zeitungen. Die haben mir viel bedeutet“, erzählt sie. Schon in ihrer Kindheit und Jugend sammelte sie Magazine und erstellte Collagen. „Heute gibt es ja so viele Kinderbücher, so viele Trickfilme, es ist alles voll mit Bildern. Aber als ich noch klein war, in den 80ern, da waren Kinderillustrationen für mich immer etwas ganz Besonderes“, berichtet Franziska Uhlig. Diese Eindrücke haben sie sehr geprägt. Wenn sie heute durch die Stadt geht, sind es oft alltägliche Dinge wie Architektur oder Fotografien, die sie für ihre Arbeit inspirieren.
Routinen und die Kreativität
In Deutschland arbeiten laut der Illustratoren Organisation e.V. (IO) um die 3000 Illustrator*innen. Ein großer Teil, wie auch Franziska Uhlig, ist freiberuflich tätig. Das Berufsfeld, in dem sie arbeitet, ist sehr breit gefächert. Dabei geht es nicht nur um die visuelle Darstellung von Texten in Büchern oder Zeitschriften. Es geht darum, Konzepte zu entwickeln und Botschaften greifbar zu machen. Eines verbindet alle Bereiche: die Kreativität. Damit diese entstehen kann, versucht Franziska Uhlig Routinen in ihre Arbeit einzubauen. „Die guten Bilder kommen wirklich dann, wenn du dich hinsetzt und immer wieder zeichnest“, sagt sie. Wissenschaftler*innen der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Potsdam und der University of Essex in Großbritannien haben sich damit beschäftigt, wie Kreativität gefördert werden kann. Dabei zeigte sich, dass umfangreiche und zeitintensive Trainings oder Meditation hilfreich sind. Aber auch die Wahrnehmung des Umfelds und der Arbeitsumgebung haben einen Einfluss auf das kreative Schaffen.
Weich, farbig und mit einer runden sanften Linie
Auf dem Tisch, an dem sie malt, findet sich eine riesige Sammlung von Schreibgeräten. Bleistifte, Buntstifte und Pinselstifte in den verschiedensten Farben wie Beigerot, Kobalttürkis, Maigrün, Zimtbraun oder Purpurrosa. Sie liegen dort verstreut, quer und übereinander wie geduldige Partner, die bereit sind, mit jedem Mal etwas Neues zu erschaffen. Wenn Franziska Uhlig illustriert, nutzt sie viele Medien, Stifte, aber auch Acryl oder Aquarell. Ihre Zeichnungen zeigen fast nur Frauen, vor allem als Porträts. „Ich liebe Farben. Das ist schon ein großes Thema bei mir. Und ich liebe Formen.“ Ihre Illustrationen beschreibt sie als weich, farbig und mit einer runden und sanften Linie. „Aber sie haben auch immer irgendwas Melancholisches an sich und etwas Beobachtendes und Distanziertes“, fügt sie hinzu, als sie zu einer ihrer Illustrationen schaut, auf der eine Frau mit roten Haaren, großen Augen und kleinen, aber vollen Lippen abgebildet ist. Eines der Augen ist mit einer sonnenähnlichen Form, einem Kreis mit sich nach außen zuspitzenden Dreiecken, leicht überzeichnet. Das Bild steht in einem Holzrahmen auf einer Kommode.
Den eigenen Stil zu entwickeln ist für viele Illustrator*innen sehr wichtig, denn dieser verleiht ihren Werken eine unverwechselbare Signatur. „Ich möchte mit meinen Illustrationen nicht beliebig sein“, erzählt Franziska Uhlig, während sie einen Pinselstift nimmt und beginnt, einen ovalen Kreis auf ein Blatt Papier zu malen. Der Wiedererkennungswert spielt dabei eine große Rolle. Das ist auch für den Beruf von entscheidender Bedeutung. Vor allem, wenn es darum geht, Auftraggeber*innen für sich zu gewinnen. „Illustrator*innen bieten mit ihrer Arbeit ein Produkt an, aber ein Stück weit auch sich selbst als Person“, erklärt Florian Bayer. Er ist Illustrator, Autor und lehrt als Professor im Bereich visuelle Kommunikation an der Merz Akademie in Stuttgart.
Mit Stift und Computer
Auftragsarbeiten beginnt Franziska Uhlig immer mit Bleistift. Dann zeichnet sie ihre ersten Gedanken. Manchmal auch mit dem Tablet auf dem Sofa, aber meistens mit Stift und Papier. Ihre Ideen entwickelt sie, indem sie sich intensiv mit einem Thema beschäftigt. Ihre Zeichnungen scannt sie ein und koloriert sie am Computer oder Tablet mit Kreativprogrammen wie Photoshop oder ProCreate. Die Digitalisierung hat auch die Illustrationsbranche verändert. Werkzeuge wie Grafiktabletts und Illustrationssoftwares ermöglichen es, vielschichtiger zu arbeiten und mehrere kreative Techniken zu vereinen.
Kreativität wird in der Forschung als das Schaffen von etwas Neuem beschrieben. Etwas zu entwickeln, von dem auch andere profitieren können. In einem Beitrag des Wissensmagazins „Thinking Skills and Creativity“ wird das kreative Schaffen in Ebenen eingeteilt. Zum einen in kreative Tätigkeiten, die jederzeit stattfinden. Dazu zählen auch alltägliche Aktivitäten wie das Kochen. Und zum anderen in die Alltagskreativität, kleine Tätigkeiten, bei denen ein Problem gelöst werden muss. Eine weitere Ebene zeigt kreative Leistungen, die von anderen Personen wahrgenommen werden können. Hier findet sich auch die Arbeit von Illustrator*innen.
Von Pinselstrichen und Likes
Jeder ihrer Striche, jede Linie, jeder Pinselhauch schafft Stück für Stück ein Bild. Den Entstehungsprozess filmt sie an manchen Tagen mit ihrem Handy auf einem Stativ mit. Nachmittags postet sie das Video auf Instagram. Für ihren Onlineshop ist das soziale Medium und die Möglichkeit, Auszüge ihrer Arbeiten zu teilen, ihr wichtigstes Werbetool. Kleinere Kollaborationen mit Unternehmer*innen kommen oft über Instagram, erzählt sie. „Das finde ich gut, weil ich da frei bin.“ Dann illustriert sie mal einen Wochenplaner für die Community eines Podcasts oder bringt Farbe und Muster auf einen Kinderhut. Große Aufträge kommen nicht über Instagram. „Da muss ich aktiv Akquise machen oder es kommen alte Kontakte auf mich zu.“
Der Weg zur Illustration
Ein Telefonat mit dem Kunden und ein kurzes Kennenlernen. So beginnen die meisten Aufträge. Dabei geht es immer in gewisser Weise um eine Art Problemlösung. Ein Produkt soll schöner werden oder ein Artikel soll verständlicher werden, indem der Inhalt mit einer Illustration unterstrichen wird. „Ich lese mich sehr gerne in die Themen ein und versuche diese zu verinnerlichen, um dann zu schauen, welche Bilder in meinem Kopf entstehen.“ Dann erst scribbelt sie los, schickt erste Zeichnungen an Kund*innen und entwickelt ein Farbkonzept. Wenn die Auftraggeber*innen mit der Idee und dem Konzept zufrieden sind, geht es an die Umsetzung. Der Prozess von der Idee zur Illustration besteht dabei aus vielen kleinen Entscheidungen, die die Arbeit leiten, sagt Florian Bayer. Für ihn geht es als Illustrator darum, mit der Freude an Inspiration und der Lust an Innovation ein Interesse an der Welt zu haben, vieles wahrzunehmen und dadurch Themen neu in Verbindung miteinander zu setzen. „Und wenn man dann noch Methodiken hat, um das Gesehene abrufen zu können, entsteht daraus Kreativität“, erklärt er. Eine der am weitesten verbreiteten Ausdrucksformen von Kreativität ist die Kunst. Dabei wird davon ausgegangen, dass Künstler*innen kreative Menschen sind und dass das Schaffen von Kunst Kreativität benötigt.
Die Sache mit der Kunst
„Morgens mache ich immer erst mal einen Kaffee und ein warmes Wasser, gehe in mein Atelier und setze mich an meinen Tisch“, erzählt Franziska Uhlig. Dann zeichnet sie einfach für sich selbst, ohne sich an Vorgaben zu halten. Dabei findet sie es manchmal auch ein bisschen schwierig, zwischen Kunst und Illustration zu unterscheiden. Neben der Arbeit mit Agenturen oder Kollaborationen verkauft Franziska Uhlig einen Teil ihrer Werke in ihrem eigenen Onlineshop. Illustriert sie für einen Kunden, ist diese Arbeit für sie kommerziell. Illustration an sich bedeutet, ein Thema zu erfassen und es zu veranschaulichen. „Kunst hingegen muss das nicht. Kunst muss nicht ansprechend sein. Kunst ist nicht kommerziell“, erzählt sie weiter. Ziel der Illustration ist es also, eine Idee auf kreative Weise zu erklären und Aufmerksamkeit für ein Thema zu bekommen. Dabei stellen Illustrator*innen neue Verknüpfungen her und versuchen in ihrer Arbeit „etwas Ungewöhnliches, Unvorhersehbares“ zu schaffen. Eine „ungesehene Perspektive auf ein Thema einzunehmen“, sagt Florian Bayer dazu, um einen Zugang zur eigenen Kreativität zu finden und diese beim Illustrieren anzuwenden.
Die Illustration, die Franziska Uhlig an diesem Tag malt, ist fast fertig. In ihrem Atelier auf dem Dachboden, zwischen ihren Malutensilien und Illustrationen, kann sie ihre Kreativität entfalten. Sie macht sich Musik an, sitzt an ihrem Zeichentisch und setzt die letzten Akzente.