Sternzeichen Schwächling
Triggerwarnung: Dieser Text thematisiert die Androhung von Gewalthandlungen gegen queere Personen.
Luis sitzt in seinem Zimmer auf der Bettkante und atmet tief durch, er sieht angespannt aus. In seinem Reel mit dem Titel „Olympische Spiele für Queers“, spielt er mit Vorurteilen der queeren Community. Die Disziplinen seiner Spiele: gerade sitzen, ohne die Beine zu überkreuzen, gerade stehen, ohne die Hüfte herauszustrecken, nicht „Slay“ sagen. Das Video hat rund 6300 Likes. Solche Videos teilt Luis auf seinem Kanal regelmäßig mit seinen 11,5 Tausend Follower*innen bei Instagram. Sein Content „nimmt einerseits queeres Leben auf die Schippe, spielt mit Stereotypen, aber spricht auch ganz deutlich Diskriminierungserfahrungen an“, beschreibt Luis.
Unter seinen Videos kommentieren viele Nutzer*innen mit lachenden Emojis, drücken ihre Zustimmung aus. Viele freuen sich, Content anderer queerer Menschen zu sehen. Wenn man ein bisschen weiterliest, tauchen aber auch Kommentare auf, die ganz andere Töne anschlagen. „Was sehe ich hier für 'ne Scheiße?“, kommentiert ein Nutzer. Darunter: „Ab in die Psychiatrie, Tag der offenen Tür ist vorbei“ oder „Sternzeichen Schwächling“.
Hate Speech in den sozialen Medien
Hassrede im Internet und den Sozialen Medien wird „Hate Speech“ genannt. Eine Studie der Landesanstalt für Medien NRW zum Thema Hassrede zeigt, dass 36 Prozent der Nutzer*innen im Jahr 2023 schon Hate Speech im Internet gegenüber der LGBTQIA+ Community wahrgenommen haben. Bei jungen Erwachsenen im Alter bis 24 Jahren ist der Anteil mit 62 Prozent besonders hoch.
Auch für Luis gehört Hate Speech zum Alltag. Er erzählt: „Es gibt Hate-Kommentare wie ‚Gay‘ oder ‚Schwuchtel‘ oder so, da bin ich mittlerweile abgehärtet, weil ich die jeden Tag bekomme. Und das ist natürlich lame. Manchmal denk’ ich auch so: Hättest du dir nicht was Kreativeres ausdenken können?“ Andere Kommentare gehen tiefer. „Mütter oder Väter schreiben: Wenn mein Sohn so wäre wie du, dann würde ich ihn verstoßen. Und das sind halt so Sachen, die viel näher an der Realität sind, viel greifbarer“, berichtet Luis weiter. Neben den öffentlich sichtbaren Kommentaren erhält Luis auch immer wieder Direktnachrichten, die er besonders heftig findet. Er erzählt, dass er dort teilweise Morddrohungen bekommt, oder GIFs, die ihm eindeutig Gewalt androhen. „Da sind teilweise Flammenwerfer abgebildet, und dann weiß man ganz genau, was damit gemeint ist“, sagt er.
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Wie können wir Hass begegnen?
Auf die Hasskommentare unter seinen Videos versucht Luis mit Humor zu reagieren. Auch die Initiative „Initiative Hate Aid“ empfiehlt, gegen Hass mit Humor zu kontern, beispielsweise mit Memes. Neben dieser Möglichkeit des sogenannten „Counter Speech“ gibt es noch weitere Empfehlungen, mit Hate Speech umzugehen.
How To: Counter Speech
Good Vibes Only!
Reagiert auf den Beitrag in einem positiven Ton, macht der betroffenen Person ein Kompliment, oder geht auf das von ihr Gesagte zustimmend ein.
Faktencheck!
Entkräftet unrichtige Hasskommentare, widerlegt sie mit Fakten und deckt Widersprüche in ihrer Argumentation auf.
Humor!
Mit ironischen oder humorvollen Reaktionen könnt ihr die Situation für Betroffene aufheitern.
Auf den Boden der Tatsachen!
Weist Verfasser:innen von Hasskommentaren darauf hin, dass ihre Aussagen verletzend sind oder sogar strafrechtliche Konsequenzen haben können.
Kein Platz für Diskriminierung!
Macht darauf aufmerksam, wenn ein Kommentar diskriminierend ist. Zeigt auf welche Gruppe diskriminiert wird und dass das nicht okay ist.
Luis lässt die Kommentare unter seinen Videos meistens stehen: „Ich möchte so diesen Hate sichtbar halten, damit man sieht, wie krass der Hate gegenüber queeren Menschen auch heute noch ist.“ Nur selten löscht er Kommentare, nämlich dann, wenn es um Androhung von Gewalt geht. Damit möchte Luis verhindern, dass andere Nutzer*innen getriggert werden. Unter den meisten Hasskommentaren wehren sich auch andere Nutzer*innen, die Luis unterstützen. Sie nutzen aktiv Counter Speech, indem sie die queere Community verteidigen, Erklärungsversuche geben und auch Gegenargumente anführen. Luis findet dabei wichtig, nicht selbst beleidigend zu werden. „Das schürt dann wieder Hass auf der anderen Seite und das ist nicht so förderlich“, findet Luis.
Hasskommentare können mitunter auch strafrechtlich verfolgt werden. Dazu können Tatbestände wie Volksverhetzung, öffentlicher Aufruf zu Straftaten, Beleidigung oder üble Nachrede herangezogen werden. Außerdem gibt es seit 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), welches die Bekämpfung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten in sozialen Medien ermöglichen soll. Das NetzDG schreibt Plattformen vor, dass sie eine Beschwerdemöglichkeit über strafbare Inhalte für ihre Nutzer*innen zur Verfügung stellen müssen. Solche Beschwerden müssen dann innerhalb von 24 Stunden geprüft und im Falle eines strafbaren Inhalts innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden. Wenn diese Regelungen nicht eingehalten werden, droht den Anbieter*innen ein Bußgeld von bis zu 5 Millionen Euro.
Dennoch sind soziale Medien nicht sicher vor Hate Speech. Das zeigt auch der jährliche Report Rainbow Europe der Organisation ILGA-Europe. Der Bericht zeigt, dass LGBTQIA+ Menschenrechte in Deutschland im Bereich Hate Crime und Hate Speech nur zu 22 Prozent gewährleistet sind. Ein weiteres Gesetz, das „Gesetz gegen digitale Gewalt“, ist deshalb in Planung. Es soll Hate Speech weiter eindämmen. Betroffene sollen Auskunft über die Verfasser rechtswidriger Hasskommentare erhalten können. Damit soll die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung verbessert werden. Auf die Frage, ob er soziale Medien als Safe Space für queere Menschen ansieht, meint Luis: „Meiner Meinung nach gibt es keine Safe Spaces im Internet. Auch queere Räume sind teilweise rassistisch oder sexistisch. Das ist leider so.“
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Räume für die LGBTQIA+ Community
Trotzdem schaffen es Creator*innen wie Luis, einen positiven Ort in den sozialen Medien zu schaffen. Denn neben hasserfüllten Nachrichten erhält Luis auch viele zugewandte Kommentare. Menschen freuen sich, dass sie ihre persönlichen Erlebnisse und Gefühle in Luis Videos wiederfinden. Er berichtet: „Mir schreiben Mütter, die sagen: Mein Sohn fängt jetzt auch an Nagellack zu tragen [...] und ich habe ihm auch deine Videos gezeigt [...] und das hilft ihnen voll, sich zu entwickeln.“
Luis meint, dass es unter Posts schwer sei, einen sicheren Ort zu schaffen. Dennoch findet er, dass Videos mit LGBTQIA+ Content queeren Menschen Bestätigung geben und so als Wohlfühl-Content dienen können. Seine Motivation begründet Luis so: „Das ist der Impact, den ich mir wünsche. Ich wünsche mir, mit meinem Content ein Vorbild zu sein und Leute dazu zu inspirieren, einfach ihr wahres Selbst zu sein.“