„Das war der Einstieg in die Politik und wenn man da mal drin ist, kommt man nicht mehr raus.“
Zu jung für Politik?
98 Abgeordnete sitzen im Kreistag in Esslingen. Marc Dreher ist einer von ihnen und vertritt die Linke im Gremium. Mit 24 Jahren ist er nicht nur der Jüngste, sondern auch einer von sechs Kreisräten unter 40 Jahren. Doch Marc ist kein Einzelfall, wenn es darum geht, der Jüngste unter vielen Älteren zu sein. Auch Lucas Osterauer ergeht es so. Er ist 19 Jahre jung und sitzt für die FDP im Gemeinderat in Filderstadt.
Marc und Lucas kennen sich nicht und dennoch verbindet sie etwas: Die Politik und das Jahr 2015, für beide der Startschuss in die Politik.
Lucas, damals noch 15, wurde in der Schule von Mitgliedern des Jugendgemeinderates gefragt, ob er kandidieren möchte. „Das war der Einstieg in die Politik und wenn man da mal drin ist, kommt man nicht mehr raus“, erzählt Lucas mit einem Lächeln im Gesicht. Der Hauptgrund dort hinzugehen, war für ihn am Anfang, neue Leute kennenzulernen. Heute ist die Politik nicht mehr aus seinem Leben wegzudenken.
Marc hatte die ersten Berührungspunkte „klassisch beim Abendessen mit der Familie“ und im Gemeinschaftskundeunterricht in der Schule. Mit dem Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wusste er, dass er nicht mehr einfach nur zuschauen kann: „Ich habe als Gegenreaktion zu diesen ganzen rechten Bewegungen, die hochkamen, mich selbst als politischen Menschen begriffen“, meint Marc. Der junge Politiker beschreibt es als einen Moment, der ihn auch emotional sehr gepackt habe. Er könne nicht mehr nur zuschauen, sondern möchte selbst etwas verändern.
„Ich habe als Gegenreaktion zu diesen ganzen rechten Bewegungen, die hochkamen, mich selbst als politischen Menschen begriffen.“
Einen neuen Schritt wagen
36 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 26 gaben in einer Umfrage der Jugendstudie der Tui-Stiftung 2019 an, dass sie sich stark für Politik interessieren. Doch warum kämpfen die politischen Organisationen immer noch damit, dass die Jugend nur schleppend nachkommt?
Schaut man sich den Bundestag an, sieht man, dass nur 2,3 Prozent der über 700 Abgeordneten unter 30 Jahre alt sind.
Viele Jugendliche haben das Gefühl, dass ihre Interessen nicht repräsentiert oder wahrgenommen werden. Und selbst, wenn das Interesse besteht: Die Entscheidung, wer in die Gremien gewählt wird, liegt immer noch bei den Wählern. Und wer ist die größte Gruppe? Die über 50-/60-Jährigen. Genauso sieht es in den Parteien aus. In vielen liegt das Durchschnittsalter bei weit über 50 Jahren.
Für Marc und Lucas war der Eintritt in eine Partei keine leichte Entscheidung. Lucas hat 2018, nach seiner dreijährigen Zeit im Jugendgemeinderat, gemerkt, dass es politisch für ihn weitergehen soll. Mit der Volljährigkeit war der nächste Schritt der Eintritt in eine Partei. Er habe mit vielen Menschen darüber gesprochen und am Ende sei es eher ein Bauchgefühl gewesen: „Bauchgefühl sagt man ja immer, ist, was den Menschen ausmacht. Und das ist eigentlich das, was die FDP ausmacht und das macht mich aus.“
Mit dem Eintritt in die FDP und der Wahl in den Gemeinderat in Filderstadt hat sich für Lucas einiges verändert. Er setzt sich als 19-Jähriger mit Themen auseinander, mit denen man sich im „normalen Leben“, eher nicht auseinandersetzten würde, wie der junge Politiker sagt. Drei bis fünf Mal die Woche nimmt Lucas an Sitzungen teil und ist dort immer der Jüngste. Doch das schüchtert ihn nicht ein, im Gegenteil. Der junge Politiker erzählt, dass es noch nie einen 19-Jährigen im Gemeinderat in Filderstadt gegeben habe. Es sei etwas völlig Neues. Auch, wenn er manchmal auf sein Alter minimiert werde, sehe er es eher als Bereicherung für sich und die Stadt. Denn die Perspektive der jungen Leute müsse gehört werden.
Für Marc war es ebenfalls ein längerer Prozess. Er ist 2017 der Linken beigetreten, um aktiv etwas an seiner Umwelt zu verändern. Die Entscheidung war dennoch nicht einfach. Zu Schulzeiten fand er die SPD ganz interessant. Doch je länger er sich mit Politik beschäftigt hat, desto mehr wurde ihm klar, dass die SPD bestimmte Fragen nicht so beantwortet, wie er es gern hätte.
„Ich sehe in Herausforderungen immer Chancen und den Ansporn.“
Ein voller Terminkalender, Abitur machen und nebenher 300 Seiten an Paragraphen, Bestimmungen und Fremdbegriffen pro Woche lesen, um die Sitzungen für den Gemeinderat vorzubereiten. Das ist für Lucas wohl die größte Herausforderung, wovon er sich aber nicht unterkriegen lässt: „Ich sehe in Herausforderungen immer Chancen und den Ansporn.“ Man lerne aus Fehlern und damit umzugehen. Als 19-Jähriger hat Lucas nicht nur Herausforderungen zu bewältigen, sondern trägt auch eine riesen Verantwortung: „Filderstadt hat ungefähr 46.000 Einwohner“, erklärt Lucas. „Auf 32 Gemeinderäte kommen also um die 1400 Bürger.“ Der junge Politiker sieht es selbstbewusst.
Marcs größte Herausforderung sei, es Reden zu halten. Der 24-Jährige erzählt, dass er so etwas zuvor noch nie gemacht habe. Die Rede schreiben, vortragen und im Hinterkopf der Gedanke, dass hoffentlich keiner einschläft. Auch die Angst davor, dass ihm alles über den Kopf wächst, hatte er anfangs. „Die hat aber nach den ersten Sitzungen abgelassen, da ich freundlich aufgenommen wurde“, meint Marc.
"Das ist eine Sache für Profis."
Lucas und Marc kennen beide das Gefühl manchmal nicht ernst genommen zu werden. Mit diesem Problem sind die beiden nicht allein. Vielen jungen Leuten geht es genauso. Gerade von Seiten der älteren Politiker bekommt man oft zu hören, dass es in der Politik auf Lebenserfahrung ankommt. So schreibt es auch Christian Lindner in einem Tweet im März diesen Jahres: "Das ist ist eine Sache für Profis."
Doch wie handhabt man Zurückweisungen wie diese?
Lucas erzählt, dass es ihn teilweise herunterzieht. Es gibt ihm aber auch Antrieb, dagegen anzukämpfen und es argumentativ anders rüberzubringen. Marc beschreibt es so, dass er als junger Mensch an manche Dinge ganz anders herangeht als die Älteren. Für ihn sei Vieles erst mal möglich, er sei noch weitsichtig. Das ist etwas, was ihm manchmal vorgehalten wird.
Für beide zählt am Ende das Positive. Die jungen Männer erzählen, dass es sie persönlich sehr weitergebracht hat. Man wird selbstsicherer und lernt, für sein Wort einzustehen. Man erhält Informationen und Einblicke, die man sonst nicht bekommt. Und das Wichtigste: Es erfüllt.