Musiktexte-Kolumne 2 Minuten

Blauer Ballon - Erinnerung an ein Nie-Wieder

Blauer Ballon
Ein blauer Ballon für all das Ungesagte. | Quelle: Leonie Helbich
12. Mai 2025

Musik ist für uns alle ein Alltagsbegleiter – meist läuft sie einfach so mit, ohne viel Beachtung. Doch wenn man mal genauer hinhört, trifft sie oft genau ins Schwarze und legt den Finger auf einen wunden Punkt unseres Lebens. „Blauer Ballon“ - ein Lied, das uns wie ein Spiegel unsere Vergänglichkeit vorhält. 

Ich sitze auf den klapprigen Sitzplätzen im Olympiastadion in München, halb elf zeigt mein Handydisplay. Zum Auftakt des Superbloom-Festivals ist das Stadion schon gut gefüllt. Ich habe gerade den ersten Kaffee getrunken, als meine Emotionen auf die Probe gestellt werden. Von der großen Bühne höre ich die Zeilen: „Hallo Mama, bist du endlich angekommen?“ Auf der Bühne steht Berq, der 21-jährige Indie-Künstler und singt das Lied „Blauer Ballon“. Das Lied erzählt ein Erlebnis von Berq. Auf einer Wiese findet er einen blauen Ballon, der Absender ein kleiner Junge, der den Brief als Abschiedsgruß an seine verstorbene Mutter geschickt hat.. Am Ballon befestigt ein Brief, sein Papier trägt die Zeilen: „Hallo Mama, bist du endlich angekommen?“ Die Frage bekommt auf einmal eine ganz andere Bedeutung. 

Handbuch gegen Schmerz

Seitdem ich die Zeilen von „Blauer Ballon“ gehört habe, lässt mich die Zukunftsangst nicht mehr los. Die Angst vor Verlust versteckt sich tief in mir, ganz subtil überfällt sie mich in Momenten der Schwäche. Dass irgendwann die Zeit kommen wird, in der wir unsere Liebsten gehen lassen müssen, wurde uns schon von klein auf beigebracht. Das Leben ist endlich, klar. Wir kommen auf die Welt, um zu leben und zu gehen, aber niemand sagt uns, wie man sich verhalten soll, wenn es seine Lieblingsmenschen trifft. Es gibt keine How-to-trauern-Anleitung, die Genesung in wenigen Werktagen verspricht. Das Sprichwort „Zeit heilt alle Wunden“ ist in diesem Kontext perfide. Ja, Zeit stoppt vielleicht die Blutung, die Narbe bleibt allerdings als heimtückischer Erinnerer.

Ungeliebte Harmonien

„Ohh, du fehlst mir unendlich, nicht nur dein Lachen, auch der Streit“, singt Berq weiter. Sind es nicht genau diese Momente, die im Alltagstrubel an Stellenwert verlieren? Man streitet, schreit und schluchzt. Aber wenn man alleine am gedeckten Tisch sitzt, bringt einem die unfreiwillige Stille noch viel weniger. Deswegen sollten wir auch die lauten und aufgewühlten Momente schätzen. Wir sollten Leben zelebrieren, ob es das Lachen oder der Streit ist. Wir haben den Luxus, von jedem Standort zu jedem Zeitpunkt Menschen zu sagen, dass wir sie lieben. Eine kleine Nachricht, ein kleines „Hey, ich denke an dich“, kann so viel bewirken, der Butterfly-Effekt per WhatsApp sozusagen. Wir sollten dieses Privileg nicht für selbstverständlich nehmen und bei der ein oder anderen Nachricht auf Senden drücken.

„Ohh, du fehlst mir unendlich, nicht nur dein Lachen, auch der Streit“

Berq

Berq schließt den Song mit: „Und könnt’ ich's machen, käm' ich im blauen Ballon vorbei.“ Das Vermissen kann einen verrückt machen, so sehr, dass man alles tun würde, um die Stimme seiner Liebsten ein letztes Mal zu hören. Das zeigt uns nur einmal mehr: Wir sind sterblich, aber die Momente, die wir haben, sollten wir umso mehr genießen. Verlust kann jeden zu jeder Zeit treffen. Ich sitze jetzt zwar nicht mehr im Olympiastadion, doch jedes Mal, wenn die Shuffle-Funktion von Spotify mir „Blauer Ballon“ ausspielt, überkommt mich das Gefühl von Trauer.


Ich hoffe, es dauert noch lange, bis ein blauer Ballon von dir losfliegt.