„Die Frau darf mitsegeln, ein bisschen das Vorsegel bedienen, aber das war’s auch schon.“
Zwischen Eyth-See und Weltumrundung: Der Wandel im Segelsport

Am Max‑Eyth‑See treffen sich ambitionierte Seglerinnen, die irgendwann das nächste, härtere Wasser ins Visier nehmen: den Atlantik, den Pazifik – das Ocean Race. Ursprünglich 1973 als Whitbread Round the World Race ins Leben gerufen, hat sich das Ocean Race zu einer der renommiertesten Hochseeregatten der Welt entwickelt. Internationale Crews segeln über mehrere Etappen rund um den Globus – bei Tag und Nacht und extremen Wetterbedingungen. Es ist ein Wettkampf, der Ausdauer, Taktik und Teamgeist fordert und zugleich einen spürbaren Wandel hin zu mehr Diversität und Offenheit im Segelsport symbolisiert.
Der Wandel im Segelsport
Das Ocean Race gehört zu den härtesten Segelrennen der Welt. Es steht für körperliche Höchstleistung, strategisches Können und internationale Teamarbeit. Doch es ist auch ein Ort des Wandels: Immer mehr Frauen nehmen teil und setzen ein Zeichen für mehr Gleichberechtigung im professionellen Segelsport. Dabei geht es nicht nur um sportlichen Ehrgeiz – sondern auch um Sichtbarkeit, Teilhabe und den Abbau überkommener Rollenbilder. Der Fortschritt ist sichtbar, aber die strukturellen Hürden bleiben hoch.
Doch unsere Netzwerkanalyse zeigt: Der Wandel vollzieht sich nur langsam. Frauen nehmen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen deutlich seltener zentrale Rollen innerhalb der Segelteams ein – sei es in Bezug auf öffentliche Präsenz oder tatsächlichen Einfluss. Besonders auffällig ist, dass Frauen oft an den Rändern der sportlichen und organisatorischen Netzwerke agieren, mit weniger Verbindungen zu Sponsoren, Trainingszentren und den entscheidenden Kreisen des Segelsports. Im Hochleistungssport zeigt sich generell eine ungleiche Verteilung zwischen Frauen und Männern, bedingt durch körperliche Voraussetzungen, aber auch durch historisch gewachsene Rollenbilder. Diese Dynamik lässt sich deutlich auf den professionellen Segelsport übertragen: Frauen sind insgesamt seltener vertreten und übernehmen deutlich weniger Schlüsselrollen. Unsere Analyse zeigt zudem, dass die geringe Zahl an weiblichen Teilnehmern dazu führt, dass Frauen oft engere Netzwerke untereinander bilden – stärker und stabiler als das Netzwerk der männlichen Segler. Nur etwa 10 bis 15 Prozent aller Crewmitglieder sind Frauen, und obwohl einige Teams gemischte oder reine Frauenteams bilden, bleiben die verankerten Benachteiligungen hoch. Es geht nicht nur um Segelerfahrung, sondern auch um den Zugang zu Ressourcen, Sponsoring, Reichweite und die Auflösung überholter Denkmuster, die Frauen im Segelsport immer noch in bestimmte Rollen drängen.
Verbindungen, die neuen Rückenwind erzeugen
Obwohl Frauen im Ocean Race unterrepräsentiert sind, zeigen unsere Daten, dass sie untereinander deutlich stärker vernetzt sind als ihre männlichen Kollegen. Während das Netzwerk der Männer vergleichsweise locker strukturiert ist, weist das Frauennetzwerk eine fast dreifach so hohe Dichte auf. Das bedeutet: Frauen arbeiten häufiger miteinander im selben Team oder waren mehrfach gemeinsam in verschiedenen Crews aktiv.
Diese enge Vernetzung unter Frauen lässt sich als eine Form von strategischer Kompensation verstehen. In der Sportsoziologie spricht man in diesem Zusammenhang von einer Strategie der Kompensation: Wie Sobiech und Günter (2017) zeigen, bilden Frauen im Hochleistungssport oft bewusst dichte Netzwerke, um strukturelle Benachteiligungen wie geringeren Zugang zu Ressourcen oder Sichtbarkeit auszugleichen. Durch gegenseitige Unterstützung und Kooperation verbessern sie ihre Chancen, Teil professioneller Teams zu werden und dort Fuß zu fassen. Kurz gesagt: Wo ihnen der Weg nach oben schwerer gemacht wird, bauen sie ihre eigenen Brücken.
Auffällig ist auch, dass Frauen häufiger über kulturelle Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Während männliche Segler oft innerhalb kulturell homogener Gruppen netzwerken, zeigt das Frauennetzwerk eine größere Vielfalt. Seglerinnen aus weniger etablierten Segelnationen sind häufiger Teil international zusammengesetzter Teams. Diese interkulturelle Offenheit könnte auf eine stärkere soziale Orientierung und langfristige Beziehungspflege zurückzuführen sein. Kommunikationsexpert:innen sehen in diesen Merkmalen oft weibliche Stärken – etwa Zuhören und sensibilisierte Teamführung.
Geschlechterrollen im Segelsport
Segeln wird von vielen immer noch als ein Bereich angesehen, in dem traditionelle Geschlechterrollen besonders stark vertreten sind. Doch immer mehr Frauen durchbrechen dieses Bild und schlagen mit Fachwissen, Entschlossenheit und Teamgeist neue Wege ein – sowohl auf dem Wasser als auch abseits davon.
„In den meisten Fällen ist die Frau leichter als der Mann, was es sinnvoller machen würde, wenn sie am Steuer sitzt und der Mann die Vorschot bedient“, erklärt Saskia, Mitglied im Max-Eyth-See-Segelverein in Stuttgart, die selbst bereits an mehreren Regatten teilgenommen hat. „Bei der Katamaran-Regatta ist mir jedoch aufgefallen, dass viele immer noch an den klassischen Rollen festhalten: Die Frau darf mitsegeln, ein bisschen das Vorsegel bedienen, aber das war’s auch schon.“ Diese Erfahrung teilen viele Frauen. Trotz fachlicher Kompetenz und körperlicher Leistungsfähigkeit stoßen sie oft auf Vorurteile – teils subtil, teils offen. Die Aufgabenzuteilung an Bord bleibt häufig von alten Mustern geprägt, in denen Männer die entscheidenden Rollen übernehmen und Frauen eher nur „mitsegeln“.
Dabei bietet der Segelsport weit mehr als nur Muskelkraft. „Was mir gefällt, ist, dass Segeln anspruchsvoll ist und viel mit Physik, Ergonomie und Technik zu tun hat. Es ist ein echter Teamsport“, sagt Petra, ebenfalls Mitglied im Max-Eyth-See-Segelverein und seit über zehn Jahren aktiv auf dem Wasser. Technik, Taktik, Kommunikation – das sind Eigenschaften, die weit über Geschlechterklischees hinausgehen. Deshalb sind Vorbilder wie sie so wichtig. Sie zeigen, dass Frauen im Segelsport nicht die Ausnahme, sondern ein selbstverständlicher Teil davon sein können. Netzwerke und Mentoringprogramme helfen jungen Seglerinnen dabei, nicht nur Fuß zu fassen, sondern Schritt für Schritt mehr Verantwortung an Bord zu übernehmen und ihren Platz im professionellen Segelsport zu finden.
Kurs auf Gleichberechtigung
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Frauen sind im Segelsport längst angekommen, aber noch nicht gleichgestellt. Die niedrige Beteiligung, strukturelle Hürden und stereotype Rollenverteilungen machen deutlich, wie viel noch zu tun ist. Gleichzeitig sind die Fortschritte unübersehbar – dank mutiger Seglerinnen, engagierter Teams und wachsender Netzwerke.
Der Segelsport steht an einem Wendepunkt. Das Ocean Race kann dabei eine Schlüsselrolle spielen – als Bühne für Spitzenleistungen und als Motor für strukturellen Wandel. Es liegt nun an Verbänden, Sponsoren, Medien und nicht zuletzt an uns allen, diesen Kurs zu halten: durch gezielte Förderung, öffentliche Sichtbarkeit und echte Chancengleichheit. Mit mehr Frauen an Bord hoffen viele auf neue Impulse und ein vielfältigeres Segeln.
Für diesen Beitrag haben wir eine soziale Netzwerkanalyse zum Ocean Race durchgeführt. Dabei standen die Verbindungen zwischen den Teilnehmenden sowie der Zusammenhang von Geschlecht und Nationalität im Fokus. Unsere Analyse basiert auf den Selbstauskünften der Teilnehmenden zum Geschlecht und berücksichtigt ausschließlich Personen, die sich als Mann oder Frau identifiziert haben. Ergänzend wurden offizielle Angaben des Ocean Race und der einzelnen Teams einbezogen. Sämtliche verwendeten Daten sowie das methodische Vorgehen bei der Datenerhebung und -auswertung sind transparent auf GitHub dokumentiert und hier einsehbar.