„Man muss die Inspiration auf einem gewissen Level halten.“
Die Straße erzählt die besten Geschichten
Felix kommt gerade aus der U-Bahn, die Station ist nicht besonders voll. Als er sich umschaut, sieht er eine ältere Dame, die gerade ihre Gehhilfe zusammenklappt. Dann erklimmt sie die ersten Stufen hinauf zur Königstraße. Spontan greift er seine Kamera und kniet sich auf den Boden, er sucht nach der richtigen Perspektive, stellt den Fokus scharf, der rote Mantel der Frau ist nun zentral im Bild und er drückt ab.
Der 27-Jährige studiert Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule der Medien. Mit Streetfotografie beschäftigt er sich im Rahmen seines Pflichtmoduls „Digitale Fotografie“. Dabei ist das Fotografieren schon länger ein Hobby von ihm. Die Linse seiner Kamera verfolgt seit einiger Zeit die Spiele seines Fußballvereins in der Heimat. Auch privat fängt er immer wieder wertvolle Momente ein und probiert sich weiter aus. Das Handy muss da manchmal ranhalten, aber seine Spiegelreflex Kamera Nikon D3000 ist ihm deutlich lieber. Es läge vor allem an den Details der Bilder, erklärt er, die man mit den Einstellungsmöglichkeiten der Spiegelreflex viel besser in den Fokus nehmen könne. Wenn er fotografiert, verwendet er beispielsweise keinen Autofokus, sondern stellt das Bild manuell scharf. Doch seit er auf der Straße fotografiert, ist das gar nicht immer möglich. Wenn eine interessante Situation entsteht, muss man oft schnell reagieren. Er berichtet, dass sich der Blick für sein Umfeld seither geschärft habe. Es gibt immer wieder etwas zu entdecken.
Streetfotos sollen natürlich sein
Nach einem aufmerksamen Spaziergang durch die Königstraße könnten wir wohl einiges berichten. Wer schon einmal lange an einem Bahnhof auf seinen Zug warten musste, der weiß, wie viele amüsante Situationen sich dort abspielen. Momentaufnahmen, die schnell wieder vergehen. Momentaufnahmen, die Streetfotograf*innen festhalten möchten. Wim Wenders, ein bekannter Fotograf, hat einmal gesagt: „Ein Bild ist eine Ehrerweisung an das, was da drauf ist. Bilder haben die Möglichkeit, das festzuhalten, was dann vergeht." Die lustige Pose der Touristin, die helfende Hand in der U-Bahn. Natürlich und authentisch sollen die Fotos sein und die Realität abbilden, wie sie wirklich ist. So entsteht manchmal ein Spannungsgrad zwischen unerschrockenem Hinschauen und angebrachter Rücksicht für die Abgelichteten. Das kann herausfordernd sein, weil Menschen sich immer wieder an dem Gedanken stoßen, unbemerkt fotografiert zu werden. Wie ist das mit dem Recht am eigenen Bild, wenn man sich in der Öffentlichkeit bewegt? Eine diskutable Streitfrage. Doch es steht fest: Streetfotograf*innen schaffen es, die Lebenswirklichkeit von Menschen ungestellt abzubilden.
Die Dame im roten Mantel
Das spontan entstandene Foto stimmt Felix nachdenklich. Die Frau erinnert ihn an seine eigene Großmutter. Sie ist seit längerer Zeit nicht mehr so aktiv, sie meidet belebte Gegenden lieber. Und diese steuert geradewegs auf eine der belebtesten Straßen Stuttgarts zu. Ihre Gehhilfe trägt sie mit, die Rolltreppe neben ihr dreht ohne Passagier ihre Schleife. Das Bild hinterfragt unsere Bequemlichkeit, die Frau zeigt eine faszinierende Haltung. Herausfordernd, ermutigend. Wenn Streetfotos ihre Betrachtenden so ins Nachdenken bringen, hat der Fotograf sein Ziel erreicht.
Doch das Foto wirkt nicht nur durch seine Aussagekraft. Die Symmetrie von Stufen und Rolltreppe geben ihm auch eine interessante Struktur. Die Stationsbeleuchtung taucht die Szene in ein warmes Licht. Bearbeitet werden Felix Fotografien selten. Somit komme man dem Anspruch an Natürlichkeit am nächsten, interpretiert er.
Hinter seinen Fotos steckt aber weitaus mehr als nur ein perfekter Schnappschuss. Zwar lebt die Streetfotografie von spontanen und authentischen Momenten, doch es benötigt auch fotografisches Handwerk. Straßenfotograf*innen arbeiten oft mit bestimmten Kameraeinstellungen, einer kurzen Brennweite mit leichtem Weitwinkel zum Beispiel. Das bedeutet in der Praxis: Sie gehen dicht an die Menschen heran, um Nähe zum Motiv zu schaffen. So entsteht beim Betrachten der Eindruck, man sei selbst Teil des Bildes.
Tipps und Tricks
Plattformen wie Pinterest sind eine gute Inspirationsquelle. Doch Felix will keine Bilder nachstellen. „Man muss die Inspiration auf einem gewissen Level halten“, so der Hobbyfotograf. Jeder habe seine eigene Handschrift. Es gibt Orte, die sich grundsätzlich gut zum Fotografieren anbieten. Dazu zählen Bars, Cafés, belebte Straßen oder Plätze mit besonderer Architektur. Berühmte Straßenfotografen wie Joel Meyerowitz suchen sich oft zuvor schon den Bildhintergrund aus: Zebrastreifen, besondere Gassen, interessant plakatierte Wände oder Baustellen. Sie warten ab, bis Menschen Bewegung in die Kulisse bringen. Das Zusammenspiel von Planung und Spontanität trägt zur Entstehung eines guten Fotos bei.
Als Felix zuletzt in Holland unterwegs war, hatten es ihm vor allem lustige, auf niederländisch verfasste Straßenschilder angetan. Aber auch in Stuttgart hat der Student seine Lieblingsorte zum Fotografieren. U-Bahn-Stationen, die Markthalle, die Königsbau-Passage und die Umgebung rund um das Kunstmuseum sind für ihn immer eine gute Anlaufstelle.
Sein Tipp an alle Einsteiger: „Nehmt einen Freund mit.“ Der diene auch gut als Vorwand, wenn man ein Motiv im Hintergrund ablichten möchte. Und sonst ist Felix seine oberste Devise: „Fotos machen, Fotos machen, Fotos machen“.
Auf der Media Night am ersten Februar werden Werke von Felix und sechs weiteren Studierenden im Rahmen des Moduls „Digitale Fotografie“ ausgestellt.