„Ich hätte mich selbst als größenwahnsinnig bezeichnet, wenn ich diesen Verlauf vorhergesehen hätte.“
Das Fußballmärchen von der Ostalb
Wir schreiben den 06. April 2024. Die Voith-Arena, Heimstätte des Bundesliga-Aufsteigers 1. FC Heidenheim (FCH) tobt. Die Zuschauer*innen können sich kaum auf ihren Sitzen halten. Soeben gelang es dem Heidenheimer Fußballclub das Führungstor gegen den FC Bayern München zu erzielen. Nach einer Zwei-Tore-Führung, verliert der deutsche Rekordmeister. Und zwar gegen eine Mannschaft, deren gesamter Kader gerade einmal halb so viel wert ist, wie der teuerste Spieler der Bayern. Die Sensation ist perfekt.
Vor sechs Jahren nach Heidenheim gekommen und seit 2021 Kapitän des FCH – das ist Patrick Mainka. Er selbst sagt, es sei vor Beginn der Saison schwer einzuschätzen gewesen, wie die kommende Spielzeit verlaufen wird. Im Vergleich zu anderen Mannschaften gab es kaum Spieler oder Staff-Member, die bereits Erfahrungen in der Bundesliga sammeln konnten. Als Mainka zum 1. FC Heidenheim wechselte, war dieser ein etablierter Club in der 2. Bundesliga, dem viele Fans aber keine höheren Leistungen zugetraut haben. „Als ich 2018 nach Heidenheim gekommen bin, wollte ich schauen, ob es für mich auch in der 2. Liga funktionieren kann. Ich hätte mich selbst als größenwahnsinnig bezeichnet, wenn ich diesen Verlauf vorhergesehen hätte“, antwortet Mainka auf die Frage, ob er sich jemals hätte vorstellen können, als Kapitän des FCH in der Bundesliga zu spielen.
Laut ihm ging man zu Beginn der Saison 2023/2024 von „schwierigen Phasen“ und einem Kampf um jeden Punkt für den Klassenerhalt aus. Das Team sei sehr anpassungsfähig und war in der Lage, sich schnell an das neue Tempo der Liga zu gewöhnen, erklärt der Kapitän. Gerade Erfolge wie das 2:2 am dritten Spieltag in Dortmund oder der Sieg gegen Werder Bremen trügen zu einem gewissen Selbstbewusstsein bei. Nach 32 Spieltagen steht der 1. FC Heidenheim gefestigt im Tabellenmittelfeld und könnte sich sogar noch für einen europäischen Platz qualifizieren. Das von Mainka und der Mannschaft gesetzte Ziel Klassenerhalt konnte man bereits erreichen. Somit spielt der FCH auch in der kommenden Saison wieder erstklassig.
Was ist das für ein Verein?
Der Verein, welcher in seiner ersten Saison die Liga so aufmischt, kommt aus Heidenheim an der Brenz oder „Hoirna“, wie man auf Schwäbisch sagt. Eine Kleinstadt mit rund 50 tausend Einwohnern, die auf der Ostalb liegt. Der 1. FC Heidenheim geht aus dem 1846 entstandenen Heidenheimer Sportbund (HSB) hervor. 2007 spaltet sich die Fußballabteilung vom Rest des Sportbunds ab, da dieser die Anforderungen für eine Regionalligalizenz nicht erfüllen kann. Gesetztes Ziel des frisch gegründeten 1. FC Heidenheim war das Erreichen der Regionalliga, also der vierthöchsten Spielklasse im deutschen Fußball.
Den Posten des Cheftrainers übernahm der gebürtige Heidenheimer Frank Schmidt. Er selbst stand selbst noch eine Saison davor in der Verbandsliga auf dem Platz. Ursprünglich war Schmidt nur als Interimstrainer gedacht. Er überzeugte durch seine Leistungen neben dem Platz jedoch so sehr, dass er bis heute Cheftrainer des FCH ist. Kein anderer Trainer im deutschen Profifußball ist so lange im Amt. Das schätzen Fans und Verein bis heute sehr. Kontinuität und eine ständige Weiterentwicklung sind Teil der Vereinsphilosophie. Ein Beispiel dafür ist „Likos Kiosk“– der einzige Kiosk im Profifußball, der zum Spielfeld hinzeigt. Er steht seit mehr als 15 Jahren und hat bis heute allen Renovierungen am Stadion getrotzt.
Ein Jahr nach der Abspaltung vom Sportbund schaffte der FCH den ersehnten Aufstieg in die Regionalliga, sowie die erste Teilnahme am DFB-Pokal. Im darauffolgenden Jahr stieg der FCH in die dritte Bundesliga auf und schnupperte zum ersten Mal die Luft des Profifußballs. Nach fünf Jahren in der dritthöchsten Spielklasse gelang es dem 1. FC Heidenheim im Jahr 2014 als Meister in die zweite Bundesliga aufzusteigen. Dort verblieb der Verein erstmal. Nach neun Jahren in der 2. Bundesliga war es dann so weit. Die Mannschaft unter Schmidt konnte am letzten Spieltag der Saison 2022/2023 in einem nervenaufreibenden Spiel gegen den schon abgestiegenen SSV Jahn Regensburg den Aufstieg in die erste Bundesliga klarmachen. Ein historischer Tag für die schwäbische Kleinstadt.
„Das ist ein Kindheitstraum, der in Erfüllung geht […]."
Tim Janssen, stellvertretender Pressesprecher und Verantwortlicher ClubTV des FCH, ist seit viereinhalb Jahren beim 1. FC Heidenheim. Gerade in der Medienabteilung des Vereins hat sich laut ihm im Vergleich zur zweiten Bundesliga einiges getan. Die größere Strahlkraft der Bundesliga, die weit über Deutschland hinausgeht, sei im Verein deutlich spürbar. Obwohl die Stadt und der Verein durch die Leistungen in der Bundesliga auf einer Bühne stehen, die größer ist als jemals zuvor, bleibt für Janssen das Kerngeschäft, nämlich der Fußball, der gleiche. Für die Mitarbeiter des Vereins gilt das gleiche wie für die Spieler auf dem Platz. Die Arbeit soll so gut wie möglich verrichtet werden. Das ständige Verlangen, sich weiterzuentwickeln, ist tonangebend für den 1. FC. Heidenheim, ob auf oder neben dem Spielfeld. „Das ist ein Kindheitstraum, der in Erfüllung geht, wenn man kurz nach Abpfiff über die Plätze der verschiedenen Bundesliga-Stadien läuft“, erzählt Janssen. Sein persönliches Highlight der bisherigen Saison war der 3:2-Sieg gegen den Rekordmeister Bayern München vor heimischer Kulisse in der Voith-Arena.
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Fazit und Ausblick
Obwohl die Saison noch bis zum Juni 2024 läuft, kann der 1. FC Heidenheim stolz auf die bisherigen Leistungen zurückblicken. Das von allen gesteckte Ziel, der Klassenerhalt, liegt in greifbarer Nähe. Sogar europäische Turnierplätze sind noch im Bereich des Machbaren. Der Aufsteiger gilt neben Bayer Leverkusen, die zum ersten Mal deutscher Meister geworden sind, als die Sensation der Saison.
Inzwischen ist die Stadt Heidenheim an der Brenz kein unbeschriebener Fleck auf Deutschlands Fußballlandkarte mehr. Durch harte Arbeit hat es der FCH geschafft, sich im Oberhaus zu etablieren. Dieser Wachstumsprozess dauerte zwar seine Zeit, konnte aber durch gute Organisation, harte Arbeit und ständiges Weiterentwickeln peu à peu voranschreiten. Der FCH nimmt die Treppe, nicht den Aufzug.