„Du brauchst Geld für Marketing, um dein Projekt nach vorne zu treiben“
Deutschrap: Zwischen eigenem Label und Major-Vorschuss
Wer früher in der Musikbranche den Durchbruch erreichen wollte, brauchte ein Label und einen ordentlichen Vorschuss. Allein um eine Single aufzunehmen, mussten ein Toningenieur und ein Studio mit sündhaft teurer Technik bezahlt werden. War die Aufnahme fertig, wurde sie in einem Presswerk vervielfältigt und über einen Vertrieb in die Musikläden gebracht. Diese Infrastruktur gehörte meistens zu großen Labels. Um sie nutzen zu können, brauchte man viel Geld oder einen Plattenvertrag. Heute geht es auch ohne. Tonstudios lassen sich als Software herunterladen und fertige Songs gehen ohne Umweg auf Streamingplattformen online. Wer Talent, einen Laptop und ein Mikrofon hat, kann es theoretisch weit bringen. Theoretisch…
Die digitale Welt hat Musik-Acts alle Werkzeuge geliefert, um erfolgreich zu sein und dennoch unabhängig zu bleiben. Trotzdem blieb die große Liberalisierung der Musikbranche vor allem bei den wirklich bekannten Acts aus. Schaut man sich die Label-Struktur hinter den erfolgreichsten Musiker*innen an, teilen sich auch im Jahr 2022 vor allem die drei großen Majorlabels den Kuchen untereinander auf. Universal, Sony und Warner halten zusammen über 70% des weltweiten Marktanteils.
Die Aufgabe der Labels
Diese enorme Marktmacht hängt damit zusammen, dass Majorlabels ihre Dienstleistungen an den digitalen Musikmarkt angepasst haben. Es geht nicht mehr nur darum, die Musik zu den Leuten zu bringen, sie muss auch von ihnen gefunden werden. Dominik Schmidt kennt dieses Phänomen. Er ist CEO von Rola Music, einer Booking- und Marketing-Agentur mit eigenem Label. Die Aufgaben eines Labels sind für ihn nicht klar definiert. Rola sucht nach interessanten neuen Acts, dient als Mittelsmann zwischen Künstler und Vertrieb, stellt Kontakte her und kümmert sich um Organisationsfragen. Die wichtigste Aufgabe eines Labels sei allerdings inzwischen, Aufmerksamkeit zu generieren: „Natürlich kommt es vor, dass jemand einen Track hochlädt, die Leute feiern das, und wie beim Schneeballeffekt bekommt man mehr und mehr Klicks. Die Chancen dafür sind aber gering, weil es so viel Musik da draußen gibt.“ Seit Beginn des Jahres spukt die beängstigende Zahl von 100.000 neuen Songs auf Spotify pro Tag durch die Musikwelt. Ob sie wirklich stimmt, lässt sich nicht sagen. Die Aussage stammt vom CEO der Universal Music Group. Klar ist, dass man als kunstschaffende Person in diesem Meer von neuer Musik leicht untergeht. Genau hier sieht Schmidt die Stärken der Labels. Besonders bei Majors gäbe es Netzwerke und Kontakte, die einfach essentiell seien, um gewisse Türen zu öffnen. Dazu kommt der finanzielle Aspekt. Zu den Produktionskosten für die Musik und Videos kommen nämlich hohe Ausgaben für PR und Marketing. Labels investieren hier in ihre Acts und funktionieren wie eine Bank, die einen Kredit vergibt. Im Gegenzug bekommen sie eine Beteiligung am Gewinn. Laut Schmidt lohnt sich diese Investition auf jeden Fall. Wird ein Album ohne Marketing veröffentlicht, ist das Risiko zu hoch, dass es einfach in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Für ihn ist klar: „Du brauchst Geld für Marketing, um dein Projekt nach vorne zu treiben.“
Deutsche Rapper haben ihr eigenes Label
Bei Majorlabels gibt es also die großen Vorschüsse und Budgets fürs Marketing. Gerade im Rap haben jedoch viele irgendwann das Bedürfnis, ein eigenes Label zu gründen. Das zeigt unsere Edit-Datenrecherche. Bis auf den DJ Paul van Dyk, sind alle anderen Gründer von eigenen Labels unter den erfolgreichsten 100 Deutschen Künstler*innen 2022 Rapper. Nimo mit Moonboys Entertainment, Farid Bang mit Banger Musik und Kalim mit No Face No Case sind nur eine Auswahl. Zum eigenen Label kommen oft noch weitere Geschäftszweige dazu. Vom eigenen Eistee im Kiosk-Regal, bis zur Pizza in der Edeka-Kühltruhe – vielen Rappern reicht das Musikbusiness alleine nicht mehr aus.
Alexander Föll arbeitet als Product Manager bei Four Music von Sony und führt sein eigenes HipHop Label “Block Opera”. Als möglichen Grund für die Labelgründungen der Rapper sieht er die Oldschool-HipHop Kultur: Rap habe traditionell eine Macher- und Business-Mentalität. Das sei auch bei ihm selbst so: “Ich mache Musik, bin aber auch irgendwo der Business-Alex, der Bock hat, das alles zu verstehen." Dazu kommt, dass Rapper bei ihren eigenen Labels frei entscheiden können, wen sie unter Vertrag nehmen möchten. Das können dann auch Freunde oder Familienmitglieder sein. So war zum Beispiel US-Rapper Kendrick Lamar maßgeblich am Erfolg seines Cousins Baby Keem beteiligt. Vielen Rappern ist es wichtig, ihr Umfeld so zu unterstützen. Ein eigenes Label zu gründen bedeutet aber vor allem mehr Kontrolle über die eigene Musik und Kreativität, die Möglichkeit, sich selbst als Marke und Unternehmen zu etablieren und sich verschiedene Karrieremöglichkeiten offenzuhalten. In Zeiten von Spotify, Deezer und Co. spielen Verkäufe von CDs und Platten lediglich eine kleine Rolle. Das beeinflusst die Einnahmen der Künstler*innen, denn für Streams gibt es weitaus weniger Geld. Sich einen neuen Businesszweig aufzubauen und den mit der eigenen Künstler-Persona zu verknüpfen, macht also nicht nur im kreativen Prozess Sinn, sondern bringt auch mehr finanzielle Sicherheit. Bei Majorlabel-Deals gehen oftmals 80 Prozent der Einnahmen an das Label, bei Independent-Labels sind es lediglich 50 bis 30 Prozent, erzählt Schmidt. Da kommt schon mal mehr bei den kreativen Köpfen an. Beim eigenen Label stellt sich in diesem Sinne nicht einmal die Frage nach Prozenten. Darüber hinaus behalten Rapper mit eigenem Label alle Rechte an ihrer Musik. Die sogenannten 360-Grad-Deals, bei denen Labels alle Verwertungsrechte von den Acts abgreifen, sind laut Föll auf dem Rückzug.
Wirklich unabhängig?
Trotz eigenem Label scheint der Gedanke von vollständiger Unabhängigkeit dann aber doch nicht so ansprechend zu sein, wie er klingt. Statt Independent-Labels zu gründen, stellen sich die meisten selbst gegründeten Labels der Rapper schlussendlich als Sublabels von Majors wie Universal, Sony oder Warner Music heraus. Über die läuft dann der Vertrieb und oft auch noch die Vermarktung oder Kommunikation mit Steaminganbietern. Föll spricht aus 14 Jahren Erfahrung, wenn er beschreibt, wie viel Arbeit ein Label ist. Man müsse sehr viel Zeit in Administration stecken, Verträge und Lizenzen checken. Viele Kunstschaffende wollen mit diesem Papierkram möglichst wenig zu tun haben. Laut Föll gehen sie deshalb auch mal Deals ein, bei denen ihnen etwas Geld flöten geht. Dafür können sie diese aufwendige Arbeit an das Label abgeben, das darin Erfahrung hat sowie die notwendigen Strukturen. Und auch wenn Streamingdienste beteuern, keine Vereinbarungen mit Majorlabels zu treffen, vermuten sowohl Föll als auch Schmidt, dass die persönlichen Kontakte der Mitarbeitenden durchaus beeinflussen können, wer in den wichtigen Playlists landet. Zwischenmenschliche Beziehungen, die über die Jahre entstehen und wachsen, seien auch hier von großer Bedeutung und die Industrie sei allgemein gut vernetzt. Dieses Netzwerk kann auch gestandenen Rapper*innen nicht schaden. Als Sublabel können sie Connections, Expertise und auch mal die “Bank” nutzen und dennoch einen eigenen kreativen Rahmen bestimmen. Das Majorlabel verhilft zum Erfolg und profitiert gleichzeitig von ihm. So entsteht eine Win-win-Situation für die beiden Parteien.
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Durch die Neugründungen der Rapper können die Majorlabels außerdem ihr Portfolio erweitern. Sublabels sprechen Zielgruppen sehr präzise an und haben oft durch ihre Nähe zur Szene einen besseren Blick für Newcomer*innen. Außerdem ist die Organisation in diesen kleineren Abteilungen deutlich einfacher, erklärt Föll. Zu den Rapper-Labels, die häufig direkt unter dem Major-Schirm gegründet werden, kommen dann weitere aufgekaufte Independent-Labels. Hier wird mit dem Label direkt der Katalog von Künstler*innen übernommen. So erhalten Sony, Universal und Warner ihre Marktmacht und bieten ihren Sublabels trotzdem die Möglichkeit, relativ autonom zu arbeiten.
Für die Netzwerkanalyse wurden zwei Datensätze mit den jeweils 200 erfolgreichsten Musiker*innen in Deutschland und den USA im Jahr 2022 erhoben. Dabei wurden nur Musiker*innen erfasst, die eine Staatsbürgerschaft des erhobenen Landes besitzen, oder Musik in der jeweiligen Landessparche machen. Über Chartsurfer.de wurde festgemacht, wie erfolgreich der jeweilige Act ist. Die Webseite erhebt die Dauer und Höhe der Chartplatzierungen von Musiker*nnen und vergibt dafür Punkte. Die Labels der Künstler*innen wurden manuell recherchiert. Die Datensätze können über GitHub abgerufen werden.