„Richtlinien sind wichtig und werden immer wichtiger.“
Fellnasen im Unterricht
8:10 Uhr, Freitagmorgen, die Schule beginnt. Schulranzen werden ausgepackt, Stifte und Hefte sammeln sich auf den Tischen. Zwischen den Reihen wird geflüstert, getuschelt und gelacht. Alle stehen auf. Frau Dietrich und die Klasse begrüßen sich gemeinsam. Doch sie steht nicht allein vor den Schüler*innen. An ihrer Seite ist Hündin Cahya. Sie sitzt ruhig neben ihr und freut sich sichtlich über die Begrüßung. An zwei Tagen in der Woche kommt Cahya mit in den Unterricht.
Sarah Dietrich ist Lehrerin einer ersten Klasse in Plüderhausen. Seit September 2022 bringt sie ihre Hündin mit in die Schule. Schulbegleithunde, auch Päddogs genannt, sind sehr beliebt. Sie begleiten Lehrer*innen, die in der Regel auch ihre Herrchen oder Frauchen sind, mit in den Unterricht und unterstützen diese bei der Erziehung der Kinder. So entsteht ein gutes Lernklima und die Schüler*innen können spielerisch den richtigen Umgang mit Hunden kennenlernen.
Glück mit Hund statt Einsamkeit
Während der Pandemie wuchs die allgemeine Nachfrage nach Hunden. Im Jahr 2020 verzeichnete das Haustierregister Tasso e. V. einen Anstieg der Registrierungen um 25 Prozent. Dies kann auf die soziale Isolation zurückgeführt werden, die bei vielen Menschen den Wunsch nach Gesellschaft auslöste. Stand 2022 haben sich 568 Pädagog*innen aus 16 Bundesländern bei dem Portal Schulhundweb.de des Qualitätsnetzwerks Schulbegleithunde e. V. eingetragen. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Einhaltung von Hygiene-, Ausbildungs- und Einsatzstandards für Schulhunde.
Auch interessant
Auf den Hund gekommen
Sind die Schüler*innen im Unterricht traurig oder haben emotionale Schwierigkeiten, dient Cahya ihnen als Stütze. „Die Kinder können sie dann streicheln“, erklärt Sarah Dietrich. Die tiergestützte Pädagogik kann sich positiv auf das Sozialverhalten von Kindern auswirken. Das hat eine Verhaltensstudie der Universitäten Wien und Liechtenstein ergeben. Demnach wirken Hunde beruhigend und helfen dabei, Ängste zu überwinden. Sie stärken das Selbstwertgefühl der Kinder und fördern ein wertfreies Miteinander. Hunde schaffen es durch ihr Gemüt von Natur aus zu helfen und schwierige Situationen aufzulockern.
Wie für Menschen kann es auch für Hunde Situationen geben, die sie belasten. Ein Grund, weshalb Sarah Dietrich ihren Hund durchgehend beobachtet, um Anzeichen von Überforderung, Stress und Unwohlsein zu erkennen. Wenn es zu laut wird, heißt es für alle „Flüsterstimme“.
Schüler*innen lernen Rücksicht auf die Bedürfnisse des Hundes zu nehmen, weshalb es in Klassen mit Begleithund deutlich ruhiger ist. Forschungsergebnisse der Universitäten Wien und Rostock zeigen, dass Vierbeiner Stress reduzieren und für eine angenehme Lernatmosphäre sorgen. Lehrer*innen können mithilfe der tierischen Begleiter Empathie-Verhalten, Werte und Normen vermitteln. Gleichzeitig lernen gerade junge Schüler*innen Verantwortung zu übernehmen, da auch sie den Hund mit versorgen dürfen.
Erste Schritte zu mehr Anerkennung
In Deutschland ist der Begriff Begleithund nicht geschützt. Es gibt keine staatlich anerkannte oder verpflichtende Ausbildung für den Einsatz von Hunden im pädagogischen oder therapeutischen Bereich. Seit dem 14. September 2019 gibt es bundesweit eine erste Empfehlung zum Einsatz von Hunden. Diese ist seither in der „Richtlinie zur Sicherheit im Unterricht“ (RiSU) verankert. In anderen Ländern wie Österreich gibt es bereits eine gesetzliche Regelung. Im Paragrafen 39 des Bundesbehindertengesetzes werden Vorgaben für Assistenz- und Therapiebegleithunde genau bestimmt. „Richtlinien sind wichtig und werden immer wichtiger“, gibt Helga Widder zu bedenken. Sie ist Gründungsmitglied und seit Oktober 2022 Präsidentin der Organisation European Society for Animal Assisted Therapy (ESAAT). Die Zeit sei reif. Sie vergleicht den Prozess von Beginn an mit einem kleinen Schneeball, der immer größer wird. „Und wir sind jetzt schon in einer mittleren Lawine.“ Man könne zuschauen, wie diese immer größer werde.
Organisationen wie ESAAT oder die International Society for Animal Assisted Therapy (ISAAT) setzen sich dafür ein, Aus- und Weiterbildungen im Bereich der tiergestützten Pädagogik sowie professionelle Mensch-Hund-Team-Ausbildungen zu akkreditieren.
Mensch-Hund-Beziehung
In der tiergestützten Pädagogik ist eine gute Beziehung zwischen Mensch und Hund eine Grundvoraussetzung. „Das Tier ist ein gleichberechtigter Partner in dem System. Ein wichtiger Punkt, der oft vergessen wird“, erklärt Helga Widder.
Da Cahya ein ruhiger Hund ist, hat Sarah Dietrich den Grundgehorsam, also die wichtigen Kommandos, zu Hause gelernt. Erst für die Ausbildung zum Begleithund besuchte sie eine Hundeschule.
Eine Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität in München ergab, dass an nur 22 von 54 Schulen die eingesetzten Hunde mit ihren Halter*innen eine spezielle Ausbildung im Bereich der tiergestützten Pädagogik absolviert hatten. „Menschen sollten lernen, ihren Hund gut lesen zu können, also die Körpersprache des Hundes zu verstehen“, erklärt Hannah Grewe, Ausbilderin bei Canis, einem Zentrum für die Lehre von Hunden. Die Ausbildung zum Mensch-Schulbegleithund-Team gliedert sich in drei Teile. Theorie, Praxis und Umsetzung. Zunächst geht es darum, die rechtlichen Hintergründe und die Kommandos zu erlernen, um diese dann mit dem Hund in der Klasse umzusetzen.
„12 Uhr hat es geschlagen, die Schule ist aus und morgen ist Samstag, da bleiben wir zuhaus. Am Montag wollen wir wieder in die Schule gehen, schönen Samstag, schönen Sonntag, auf Wiedersehen“, singt die Klasse zum Abschied. Dann heißt es für Cahya erst einmal ausruhen und Pause machen. Und morgen? Da genießt Cahya einen entspannten freien Tag, darf mit anderen Hunden spielen, ausgiebig Gassi gehen, schlafen und einfach nur Hund sein.