Unter einer Decke stecken
Mittwoch, 19:35 Uhr - Meine heutige Bettwäsche ist weiß-geblümt. Dezent und schlicht, und damit definitiv die Erwachsene im Bunde der Kissen- und Bettbezüge. Meine Mutter hatte sie mir zum Einzug ins Studierendenwohnheim geschenkt und damit das endgültige Todesurteil meiner uralten Sailor Moon- und High School Musical-Bettbezüge unterzeichnet. „Damit der erste nächtliche Besuch nicht peinlich wird!“ – Danke, Mama? Peinlich berührt war allerdings auch ich mir sicher: im Studium will ich mich ausprobieren. Eine Beziehung? Nein danke! Tinder? Installiert!
Doch warum einfach, wenn‘s auch kompliziert geht? Punktgenau zum großen Umzug machte mir Corona einen Strich durch die Rechnung. Der große Ansturm auf mein Bett blieb aus und meiner neuen Erwachsenen-Bettwäsche wurden die wechselnden, männlichen Bekanntschaften im Schwabenland, für die sie doch eigentlich gekauft worden war, verwehrt. Trotz all der entgangenen Chancen und Abenteuer (die dieser Kolumne sicher auch gerecht geworden wären) verfielen die Erwachsenen-Bettwäsche und ich aber keinesfalls in tiefe Trauer. Denn nicht nur Corona, sondern auch Amor mischte sich in mein Liebesleben ein und sandte mir an meinem ersten Tag in Stuttgart, zwischen Umzugschaos und Feierlaune, meinen besten Freund – und festen Freund. Kein*e Drehbuch-Autor*in hätte es besser schreiben können.
(Meine) wahre Intimität
Liebe schön und gut – das würde den meisten wahrscheinlich mehr als genug sein. Doch würde es mir reichen? Und wie! Zum 1. Jahrestag vor ein paar Wochen liegen die Erwachsenen-Bettwäsche und ich uns in den Armen, und rekapitulieren. Über etwas, was wir schon lange geglaubt gekannt zu haben, doch erst jetzt wirklich verstanden haben: wahre Intimität. Die findet wie geheuchelte „Netflix & Chill“-Abende oder schlechte One-Night-Stands zwar auch im Bett statt – aber „Anfassen“ spielt hierbei eine ganz andere Rolle.
Denn schon lange kann ich mir nichts Schöneres mehr vorstellen, als mich jeden Tag aufs Neue mit denselben 75 Kilo Kampfgewicht um die Decke zu streiten. Mit niemandem zuvor habe ich so hitzige Debatten darüber geführt, warum ich die neuste Folge „Grey’s Anatomy“ nicht erst morgen schauen kann. Nichts vermittelt mir mehr Geborgenheit, als ein leises Fluchen im Kampf mit meinem komplizierten Fernseher, wenn ich mal wieder als Erste eingeschlafen bin. Selten waren Gespräche je so tiefgründig. Nichts zaubert mir beim Blick in den Badezimmer-Spiegel so ein Grinsen ins Gesicht, wie die zwei Zahnbürsten, die darunter stehen.
Eine kurze Google-Suche verrät mir, was ich da fühle: emotionale Intimität. Das Gefühl sich nah zu sein, ohne des anderen Körpers anfassen zu müssen und gleichzeitig doch berührt zu werden, nämlich in der Seele. Und je länger ich diese Form der Intimität genieße, merke ich, dass ich nichts verpasse, sondern etwas gewonnen habe. Das Gefühl, bedingungslos ich selbst zu sein und mich einer Person in jeder Lebenslage nah zu fühlen – meine wahre Intimität.
Mein rechter Platz ist nicht mehr leer
Und so liegen wir auch heute wieder in meinem Bett und du spielst mir leidenschaftlich vor, was ich dir gestern im Schlaf wieder erzählt habe. Wir lachen. Früher wäre mir das peinlich gewesen. Heute weiß ich, dass wir ein Team sind und wünsche mir, dass wir noch lange unter einer Decke stecken werden. Du ziehst die Erwachsenen-Bettdecke über uns und wir schlafen ein. Nur wir. Tinder habe ich schon lange deinstalliert.
Lust auf mehr? Eine weitere Bettgeschichte findest du hier!