„Das System ist krank."
Wie steht es um unsere Unverpackt-Läden?

Mitten in der Corona-Pandemie hat Ondrej Vyroubal 2021 seinen eigenen Unverpackt-Laden in Bietigheim-Bissingen eröffnet. Dass auf Corona noch weitere Krisen folgen werden, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Zum Trotz aller Herausforderungen: Ondrej und seine Frau Iva feiern im Mai dieses Jahres das vierjährige Bestehen.
Starker Einbruch innerhalb von drei Jahren
Die Entwicklung der gesamten Unverpackt-Branche entspricht dagegen nicht dem Bild, das bei dem Geschäftsinhaber aus dem Landkreis Ludwigsburg entsteht. „Unseren Peak hatten wir Mitte 2022 mit etwas mehr als 330 Mitglieder-Läden. Aktuell sind wir bei 169. Das ist ein Rückgang von ungefähr 50 Prozent“, so Christine Holzmann, Pressesprecherin des Unverpackt-Verbands.
Durchbruch 2019
2014 eröffnete in Kiel der erste Unverpackt-Laden Deutschlands. 2016 machte Jens-Peter Wedlich im Stuttgarter Westen das erste Geschäft mit dem nachhaltigen Konzept auf. „Die Branche dümpelte so vor sich hin.“ Dann hätte es einen Wendepunkt gegeben. Im Herbst 2019 habe der Film “Das Plastik in mir: Wie der Müll uns krank macht” für viel Aufsehen gesorgt. Der RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff konsumiert in diesem vier Wochen lang stark verpackte Lebensmittel. Das hatte drastische Auswirkungen auf seine Gesundheit.
Und auf die Unverpackt-Branche. Der Film habe bei vielen Menschen etwas ausgelöst. „Wir hatten dreimal so viele Kunden im Laden wie sonst“, erinnert sich Wedlich. Die anschließende Corona-Pandemie habe jedoch vieles verändert. Viele Kunden hätten ihre Routinen zurückentwickelt. Auch durch damalige politische Vorgaben für Läden und Supermärkte. „Die sind bis jetzt nicht wiedergekommen.“
Verschiedene Gründe für den Rückgang
Christine Holzmann sieht die Gründe für den Ladenrückgang branchenübergreifend. Laut dem Institut für Mittelstandsforschung in Bonn haben in den letzten Jahren durchschnittlich nur knapp 40 Prozent aller neu gegründeten Unternehmen in Deutschland mehr als fünf Jahre überlebt. Weitere Ursachen für die sinkende Zahl der Unverpackt-Läden seien ebenso fehlende kaufmännische Kenntnisse, die falsch gewählte Lage, aber auch vielfach Idealismus der Ladenbetreiber. Politische Anreize, wie Werbung oder finanzielle Unterstützungsangebote gebe es, laut Branchenverband, keine.
Veränderter Konsum
Ondrej machte sich von Beginn an viele Gedanken über sein Ladenkonzept. Er bietet aufgrund des Wochenmarkts kein frisches Obst- und Gemüse an. Auch seinen Lagerbestand habe er immer genau im Blick, um Kosten zu sparen. Für ihn sei das ein Hauptgrund, warum sein Laden noch existiere.
Er kritisiert, dass vielen Konsument*innen das Verpackungsproblem nicht wirklich klar sei. In der Verantwortung dafür seien Lebensmittelkonzerne. „Das System ist krank.“ Aufklärung und politische Maßnahmen sieht er als essenziell, da unverpacktes Einkaufen den Mainstream erreichen müsse.
Laut der Studie „GfK Consumer Life 2023“ seien die Sorgen um Inflation und den Lebensstandard, vor allem seit dem russischen Angriffskrieg, gewachsen. Günstige Produkte spielten für viele Konsument*innen dabei eine wichtige Rolle. In der Pandemie sei ebenfalls eine Veränderung in der Art des Konsums entstanden. „Durch Corona haben die Menschen gemerkt, dass man bequem sein kann“, so Wedlich. Man könne sich Dinge liefern lassen oder kaufe gleich alles auf einmal in einem großen Supermarkt ein.
Die Sache mit den Kosten
Der Einkauf bei einem Unverpackt-Laden ist auf den ersten Blick teurer, sei jedoch preislich vergleichbar mit Bio-Märkten. Die höheren Preise entstünden aber vor allem durch faire Bezahlung entlang der Produktionskette und einen erhöhten Arbeitsaufwand in den Läden selbst, beispielsweise durch mehr Hygiene-Aufwand. Der Preis, den die Gesellschaft für die Plastikproduktion zahlt, sei laut Christine Holzmann im Allgemeinen wenig bekannt. „Plastik, das auf dem Weltmarkt einen Euro kostet, verursacht zehn Euro an Folgekosten.“ Pro Kopf verursachte 2022 jeder Deutsche knapp 230 Kilogramm Verpackungsmüll.
„Plastik, das auf dem Weltmarkt einen Euro kostet, verursacht zehn Euro an Folgekosten."
Unverpackt aus Überzeugung
Obwohl nur 5 % der deutschen Bevölkerung öfter in Unverpackt-Läden einkaufen würden, gibt es Geschäfte, die laufen. Für Ondrej sei das Konzept essenziell, denn: „Der ganze Kreis wird erst abgeschlossen, wenn kein Abfall produziert wird.“ Auf die Frage, was er mache, wenn sein Laden schließen müsse, antwortet er: „Dann kann ich was anderes anfangen. Vielleicht ganze Nationen retten."