„Problemwölfe sollte man entnehmen, um die Gesamtpopulation zu schützen, auch wenn es aus Tierschutzsicht schmerzt“
Wer hat Angst vorm bösen Wolf?
Es ist der 15. August, ein unscheinbarer Morgen. „Bing“. Marens Handy leuchtet auf. Eine Nachricht des Jagdpächters ist zu lesen: „Schau mal, nur wenige hundert Meter hinter deinem Schafstall wurde ein Wolf fotografiert“. Angehängt das Bild des Wolfs. Für einen Moment steht Marens Welt still. Schlimme Bilder von toten und verletzten Schafen schießen in Marens Kopf. Wie geht es ihren Tieren? Ein Teil der Herde befindet sich auf einer Waldlichtung, nicht weit entfernt von der Aufnahme des Fotos. Hier wäre der Wolf ungestört und hätte leichtes Spiel. Sofort fährt die Schäferin los. Ein geschotterter Weg führt durch den Wald, hinunter bis zur Lichtung. Dann die Erleichterung: Ihren Schafen geht es gut. Es gab keinen nächtlichen Schafriss, kein Tier wurde angegriffen. Zur Sicherheit bringt die Schäferin alle Schafe vorerst in den Stall. Wer weiß schon, wie viele Wölfe sich in der Gegend herumtreiben.
Rückkehr des Raubtiers nach Baden-Württemberg
Seit dem Jahr 2015 kehrt der Wolf langsam wieder nach Baden-Württemberg zurück. Bisher sind hier nur vier Tiere sesshaft, so das Umweltministerium Baden Württemberg. Diese leben im Nord- und Südschwarzwald. Laut der Wildtierabteilung des Deutschen Tierschutzbundes wäre die Schwäbische Alb ein optimaler Lebensraum für den Wolf. Wo er sich ansiedelt, hängt von den äußeren Gegebenheiten ab. Beispielsweise der Menge an Futter, wie hoch das Störpotential durch den Menschen ist und ob es ruhige Gebiete für die Aufzucht der Jungtiere gibt. Bislang gilt Baden-Württemberg vor allem als Durchgangsland für Wölfe, da bislang nur ein Paar, aber keine festen Rudel, nachgewiesen wurden.
Auch der Wolf, der die Albbewohner kurzzeitig in Angst und Schrecken versetzte, war wohl lediglich ein Wanderer auf der Durchreise. Seit der Sichtung des Wolfs im August sind nun mehrere Monate vergangen. Die Schwäbische Alb scheint langsam in den Winterschlaf zu fallen. Aus den alten Fachwerk- und Bauernhäusern steigt grauer Rauch auf. Ein kalter Wind weht durch das Dorf und in der Luft liegt ein Geruch aus Tannengrün und verbranntem Holz. Etwas abgelegen, auf einem Hügel, liegt der Schafhof der Familie. In den Pfützen des geschmolzenen Schnees, steht Maren. Ein türkisfarbener Rand ziert ihre schwarzen Gummistiefel. Die dunklen Haare sind unter einer Wollmütze versteckt. Die meisten Schafe seien bereits ins Trockene gebracht und geschoren, erklärt die Schäferin, während sie auf die Seitentür des Stalls zusteuert. Im Inneren des Stalls ist es wohlig warm. Es duftet nach frischem Heu, Stroh und Schafwolle. Vereinzelt ist ein Blöken der Schafe zu hören, die sich behaglich durch den Stall bewegen oder es sich im Stroh gemütlich gemacht haben. Von der Decke fallen Sonnenstrahlen in die Halle. Marens Blick wandert über die Herde. Es ist Lammzeit. Etwa die Hälfte der Mutterschafe sind momentan trächtig. Dann entdeckt die Schäferin ein Tier, das kurz vor der Ablammung steht. Ohne zu zögern, legt sie ihre Steppjacke ab, streift ein paar Gummihandschuhe über und geht mit langsamen Schritten auf das Mutterschaf zu. Das Köpfchen des Lammes ragt schon heraus, als sich die Schäferin daneben kniet. Mit geübten Handgriffen unterstützt sie die Geburt, bis das Lamm wenige Sekunden später wohlauf im Stroh liegt. Ein weiteres Tier, das bald einen wichtigen Teil zum Erhalt der Kulturlandschaft der Schwäbischen Alb beitragen wird.
Schafe als Artenschützer
Grasende Schafherden sind von den Hügeln und Wacholderweiden der Alb nicht wegzudenken. Seit Jahrhunderten ist die Schafhaltung ein wichtiger Bestandteil. Sie hat die Region maßgeblich geprägt und eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt hervorgebracht. Die Schafherden, liebevoll „Landschaftspfleger“ genannt, beweiden Flächen, die maschinell nicht gepflegt werden könnten. Sie tragen dazu bei, dass die Vegetation kurz und offen gehalten wird; unterbinden also das übermäßige Wachstum der Sträucher und Bäume. Zusätzlich fördern die Schafe die Artenvielfalt der Region. Über ihren Kot und das dichte Wollkleid werden Samen und Insekten von Weidefläche zu Weidefläche transportiert. Diese Landschaftspflege wird durch staatliche Gelder gefördert und ist für die meisten Betriebe heutzutage die Haupteinnahmequelle.
Auch interessant
Auch für Schäferin Maren stellen diese Ausgleichszahlungen die Haupteinnahmequelle dar. Sie hat die Gummihandschuhe abgestreift und zieht ihre Jacke wieder an. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich ein landwirtschaftlicher Betrieb über die Rückkehr des Wolfs freut. Man hat doch so schon genug zu tun. Auflagen, die eingehalten werden müssen, Büroarbeit, das Führen des Bestandsregisters und so weiter. Da braucht man nicht auch noch zusätzlich einen Wolf." Im August, kurz nach der Sichtung des Wolfs, bestellt Maren sich neue, höhere Zäune, um ihre Tiere zu schützen. Die muss sie aus eigener Tasche bezahlen, da die Schwäbische Alb nicht als Wolfspräventionsgebiet gilt.
Schutz vor dem Wolf
Zu den Wolfspräventionsgebieten gehören, laut Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt in Baden-Württemberg, bisher der Schwarzwald und der Odenwald. Innerhalb dieser Fördergebiete übernimmt das Land zu 100 Prozent die Kosten der Anschaffung und unterstützt zusätzlich den Unterhalt von Weidezäunen und Herdenschutzhunden. Außerhalb der Fördergebiete werden Weidetierhalter*innen lediglich bei einem Schafriss entschädigt. Die Entschädigung wird dann ausgezahlt, wenn der Wolf als Verursacher nachgewiesen werden kann.
Aber nicht nur die fehlende finanzielle Unterstützung ist ein Problem. Das Vorkommen des Wolfs würde für die Schäferin eine dauerhafte Angst um ihre Tiere bedeuten. „Als Schäfer oder Schäferin ist man den Tieren gegenüber verpflichtet. Man muss schauen, dass es ihnen gut geht“, äußert Maren, während sie den grünen Futtereimer auffüllt. Die verbliebenen Schafe, die noch draußen auf der Weide stehen, müssen gefüttert werden. Rasch verlässt sie den warmen Stall, leint Schäferhund Arco an und belädt den in die Jahre gekommenen, silbernen Jeep. Sie fährt zu der Weide, auf der die Schafe in der Augustnacht standen, als der Wolf fotografiert wurde. Die Bäume sind inzwischen fast kahl. Wenn man an den ihnen vorbeiblickt, erkennt man die Waldlichtung schon aus der Ferne. Dort grasen die Schafe friedlich. Bei dem Anblick der Schäferin, mit dem Futtereimer in der Hand, setzt sich die Herde in Bewegung und drängt sich um sie. Während Maren das Futter auf die Wiese streut, erklärt sie: „Meine Meinung ist klar: Ich will den Wolf nicht. Das Problem wären nicht nur die Schafrisse. Der Wolf würde die ganze Herde in Panik versetzen. Diese Angst würde nicht einfach über Nacht verschwinden. Es könnte sein, dass wir noch Tage oder Wochen lang mit diesem Problem zu kämpfen hätten.“
Der Deutsche Tierschutzbund betont ebenfalls, dass der Wolf schnell lernt. Unzureichend geschützte Tiere machen Schafe zur bevorzugten Beute, da sie leichter zu fangen sind als Wildtiere, wie beispielsweise Rehe. Sobald Wölfe erkennen, dass Weidetiere einfache Beute sind, versuchen sie auch schwer zu erreichende Weiden und ihre Schutzmaßnahmen zu überwinden. „Auch wenn es aus Tierschutzsicht schmerzlich ist, könnte es vernünftig sein, solche Tiere zu entnehmen, um die Gesamtpopulation zu schützen“, schlägt James Brückner, Leiter der Wildtierabteilung des Deutschen Tierschutzbundes vor. Um solche Entnahmen zu verhindern, soll Herdenschutz präventiv eingesetzt werden. Wölfe sollen gar nicht erst lernen, Weidetiere als Beute zu sehen. So könnten Schäden von vornherein vermieden werden.
Trotz der intensiven Bemühungen der Tierschutzverbände kann sich Maren nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass der Wolf sich auf der Schwäbischen Alb niederlässt. "Der Wolf ist zweifellos ein faszinierendes Tier, ich finde ihn selbst äußerst interessant, aber hierher gehört er einfach nicht", erklärt sie bestimmt. Vorerst ist sie erleichtert, dass ihre Schafe während des Winters sicher im Stall sind. "Falls nötig, höre ich eben als Schäferin auf und verwandle den Hof in einen Indoor-Ponyhof", scherzt sie, mit einem Grinsen im Gesicht.
Der Name der Protagonistin wurde auf Wunsch geändert, da es sich um ein umstrittenes Thema handelt. Die Identität ist der Redaktion bekannt.