„Mir ist egal, wer das Publikum ist. Wenn die Bock haben, hab ich Bock!“
Auf einem alten Holztisch im Backstage liegt der Hut, der nach dem Auftritt der Band herumgereicht wurde, um Spenden zu sammeln. Wobei „Hut“ das falsche Wort ist, denn Arne, der Schlagzeuger der Band hatte kurzerhand sein Snarecase, also die Verpackung einer seiner Trommeln als sogenannten „Hut“ zur Verfügung gestellt. In diesem liegen jetzt Geldstücke und Scheine in allen erdenklichen Wertgrößen. Vom lohnenden, orange leuchtenden 50 Euro Schein, bis zum klimpernd, aus dem Geldbeutel geschüttelten Kleingeld ist alles dabei. Arne steht im goldgelben Licht der mit Pailletten versetzten Deckenlampe, die den aus allerlei Möbelstücken zusammengestellten Hinterhof beleuchtet. Die Gage für den Abend ist bis jetzt noch unklar.
Magnus, Arne und Moritz sind seit etwa drei Jahren „Rathmann“. Mit deutschen Texten, tanzbaren Melodien und hohem Wiedererkennungswert versuchen die drei in der Musikbranche Fuß zu fassen. Aber wie und vor allem warum verfolgt man ein Ziel, einen Traum, von dem man nicht einmal weiß ob er je in Erfüllung gehen wird?
Diesmal ist auch Johannes dabei. Er ist Tontechniker und begleitet Rathmann an beiden Tagen. Denn den Musikern ist es wichtig, dass ihre Musik nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch von hoher Qualität ist. Sie wollen professionelle Musik machen. „Das stand nie ganz oben auf der Liste. Aber es macht einfach Sinn, wenn man als Band ein stimmiges Bild abgeben will, einen Mischer dabei zu haben“, erzählt Arne, Schlagzeuger und mit 32 Jahren das älteste Bandmitglied.
Die Stimmung ist locker. Alle sind gut gelaunt. Auch Josha, der Gitarrist, ist dabei. Er selbst ist kein festes Mitglied. Er wird sozusagen für die Auftritte „eingekauft“. Dafür wird er dann aber, genau wie Johannes, von der Band bezahlt. Wie viel die Band pro Gig verdient, ist immer unterschiedlich. Grundsätzlich sei es immer eine Abwägung zwischen Geld und Reichweite. Bei Konzerten, bei denen man eventuell die Hörerschaft vergrößern kann, nimmt die Band auch mal kleinere Gagen in Kauf. Für Auftritte in der Heimat könne man aber mittlerweile schon eine ganz gute Summe verlangen, fasst Magnus zusammen. Zum Leben reiche das aber nicht, betont er. So arbeiten bis jetzt sowohl Magnus als auch Arne nebenbei und geben Unterricht auf ihrem jeweiligen Instrument, um sich ihre Musik finanzieren zu können. Moritz befindet sich noch im Masterstudium. Sie könnten also jederzeit wieder einen „normalen Job" annehmen.
Mittlerweile dämmert es leicht über der Konzertlocation Odonien. Das Publikum ist bunt gemischt. Nur wenige Besucher*innen kennen die Band. Ein paar Freund*innen jedoch sind die knapp 200 Kilometer aus Marburg mit angereist. Techniker Johannes scherzt, er habe sich das Zielpublikum der Band anders vorgestellt und verweist auf einige ältere Leute im Publikum. Arne antwortet: „Mir ist egal, wer das Publikum ist. Wenn die Bock haben, hab ich Bock!“. So simpel der Satz auch wirkt, so sehr steht er stark für das, was Rathmann ausmacht.
Die Lieder der Band scheinen immer mehr Menschen zu begeistern. Die Leute beginnen zu tanzen. Die Sonne geht unter. Konzertstimmung kommt auf.
Nach dem Konzert steht Magnus vor der Bühne. Einige kommen an diesem Abend auf ihn zu und suchen das Gespräch. Während hinter der Bühne das Geld aus dem „Hut“ gezählt wird, unterhält sich Magnus mit Leuten, die Rathmanns Musik heute wahrscheinlich zum ersten Mal gehört haben. Vielleicht noch ein paar Hörer*innen mehr auf den mittlerweile so wichtigen Streaming-Plattformen. Auf Spotify hatte die Band zum Zeitpunkt der Reportage monatlich circa 8.000 Hörer*innen. Heute sind es bereits 9.605 und insgesamt rund 320.000 Streams. Pro Stream gibt es etwa 0,003 Cent. Von den Spotify-Einnahmen kann die Band also noch lange nicht leben.
Nach dem Abbau noch schnell zum Imbiss um die Ecke. Ein kurzes Gespräch mit den Mitreisenden von zu Hause. Feierabendstimmung gemischt mit Müdigkeit. Für ein Hutkonzert, verrät die Band, habe es eine ganz gute Gage gegeben. Die Nacht verbringen die fünf bei Bekannten in Köln. Matratzenlager statt Hotelsuite, Konzertalltag für eine junge Band. Morgen geht es zwei Stunden weiter nach Darmstadt.
Mit müden Gesichtern steigt die Band aus ihren Autos. Man streckt sich. Die Nacht scheint wenig erholsam gewesen zu sein. Vor allem Arne betont, er sei nicht richtig zur Ruhe gekommen. Nachdem die Autos geparkt sind und das Equipment ausgeladen ist, geht es an diesem Tag deutlich ruhiger zu als in Köln. Der gestrige Tag und die kurze Nacht stecken der Gruppe in den Knochen. Trotzdem ist die Stimmung gut. Es wird viel gelacht und gescherzt, doch schneller ein Rückzugsort gesucht als gestern. Als die ganze Gruppe im Backstage sitzt, legt Arne seinen Kopf auf dem Tisch vor sich ab. Magnus zögert nicht lange und hält seine Handykamera darauf. Content für Social Media.
Das bestätigt auch Stefanie Held. Sie ist Chief Marketing Officer (COM) und eine von vier Geschäftsführer*innen der Stuttgarter Chimperator Live GmbH. Damit ist sie unter anderem für das Booking-Marketing von Künstler*innen wie Cro, SDP oder Badmómzjay verantwortlich. „Für die Zielgruppe, die wir bedienen, ist Social Media absolut im Fokus“, so Held. Die Zielgruppe, von der sie spricht, beschreibt vor allem junge Menschen unter 35 Jahren. Das deckt sich auch mit der Zielgruppe von Rathmann, deren Publikum im Schnitt 27 Jahre alt ist.
„Ohne Social Media ist eine Musikkarriere mittlerweile eigentlich undenkbar.“
„Es gibt schon Künstler, die mit Social Media nichts zu tun haben wollen“, erklärt Stefanie weiter. „Aber um die herum gibt es professionelle Strukturen, die das für sie machen. Ohne Social Media ist eine Musikkarriere mittlerweile eigentlich undenkbar.“
Rathmann gehört nicht zu dieser Art von Künstlern. Sie bespielen ihre Kanäle selbst. Arne fasst die Arbeit mit Social Media so zusammen: „Man muss es mögen, um es zu machen“. Ziel der Band ist es nicht, einen großen Hype zu erzeugen oder auf TikTok viral zu gehen. Ziel sei es, eine nachhaltige Fankultur zu entwickeln, erklären sie am Biertisch im Backstage.
Kurz vor Beginn der Show gibt es eine Unwetterwarnung. Was passiert nun? Wird der Gig verschoben? Fällt er vielleicht ganz aus? Die Frage taucht auf, ob man auch bei einer Absage seine Gage bekomme. In diesem kurzen Moment wird deutlich, dass bei allem Spaß, den die Band zusammen hat, auch finanzieller Druck herrscht. Gerade die Musikproduktion ist sehr teuer. Hier hatte Rathmann unter anderem Unterstützung von der Initiative Musik bekommen, einer Kulturinitiative, die junge Musiker*innen finanziell unterstützt. So war es möglich, ihr erstes Album zu produzieren.
Nach gut 20 Minuten verziehen sich die Gewitterwolken so schnell, wie sie gekommen sind. Während die Veranstalter das Gelände wieder begehbar machen, überprüfen die Musiker erst einmal, ob das gesamte Equipment den Wolkenbruch überstanden hat. Als klar ist, dass alles trocken geblieben ist, starten Rathmann ihr zweites Konzert an diesem Wochenende. Die Stimmung ist heute noch etwas besser als am Vortag. Trotz wenig Schlaf bringen die vier Musiker wieder eine unglaubliche Energie auf die Bühne. Die Atmosphäre des Festivals passt perfekt zur Musik der Band. Zwischen den lächelnden Menschen in Gummistiefeln und Regencape tanzen auch wieder die Freund*innen aus der Heimat. Die Social Media Strategie der Fankultur scheint aufzugehen.
Heute geht das Beladen viel schneller als gestern. Alle sind müde. Alle freuen sich auf ihr Bett. Aber alle sehen auch sehr glücklich aus. Weil sie das tun, was ihnen am meisten Spaß macht und ihnen am meisten bedeutet. Das spürt man in jeder Minute, die man mit Rathmann verbringt. Und so geht es zu Ende. Ein aufregendes Wochenende mit einer aufregenden Band, von der, wenn es nach Magnus, Arne und Moritz geht, noch viel zu hören sein wird.