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Fentanyl in Deutschland – Krise oder Hysterie?

Spritze und Pillen liegen auf weißem Puder auf einem schwarzen Hintergrund
Schon die kleinsten Mengen Fentanyl können tödlich enden. (Symbolbild) | Quelle: Liv Wohlfahrt
15. Mai 2024

Synthetisch, billig, tödlich. Das Betäubungsmittel Fentanyl überschwemmt die USA seit Jahren. Nun schwappt die Droge nach Europa. Doch was macht Fentanyl so gefährlich und welche Auswirkungen hat das Rauschmittel auf die Gesellschaft? 

Eine Frau in einem Leichensack. Das riesige Plakat springt einem sofort ins Auge, wenn man mit dem Auto in die Stadt von Olivia Brown* fährt. „Fentanyl – Sonoma County´s Silent Killer“, steht auf dem Plakat geschrieben. Die 19-jährige Brown lebt in den USA in der Nähe von San Francisco. Sie hat nach dem Schulabschluss bei einem Rettungsdienst gearbeitet und die Auswirkungen der Droge hautnah miterlebt. Was Brown beschreibt, sind die Versuche ihres Bezirks, der Opioid-Krise, die in den USA herrscht, entgegenzuwirken. 

„Seine kleine Schwester ist mit zwei Jahren durch Kontakt mit Fentanyl gestorben.“ 

Olivia Brown

Ihre erste Begegnung mit einem Fentanylkonsumenten hat sie sehr geprägt. „Er war ein wenig jünger als ich und hat mir während des Transports seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Er hat viel von seiner Familie gesprochen. Seine kleine Schwester ist mit zwei Jahren durch Kontakt mit Fentanyl gestorben.“ Browns Erfahrung verdeutlicht die verheerenden Auswirkungen der Droge auf das Leben Einzelner. 

Fentanyl ist ein künstlich hergestelltes Opioid, das zur Behandlung von sehr starken oder chronischen Schmerzen, wie bei Krebserkrankungen, verschrieben wird. Es hat eine bis zu 50-fach stärkere Wirkung als Heroin. Das Opiat kann intravenös gespritzt oder auch in Form von Pflastern, Nasensprays oder Lutschtabletten verabreicht werden. Je nach Dosierung wirkt es beruhigend oder euphorisierend. Eine Überdosierung kann zum Tod durch Atemstillstand führen. 

Quelle: LKA BW, Drug.com, release direkt

Eine Überdosis endet schnell tödlich

Fentanyl kann als Rauschmittel missbraucht werden. Besonders gefährlich ist es, wenn andere Drogen, wie Heroin, beigemischt werden. Die Wirkung der Substanz darf nicht unterschätzt werden. Bereits im unteren Milligramm-Bereich könne es zu schweren Vergiftungen oder zum Tod führen, so eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA). Auch Christine Scherb von der Substitutionsberatung „release direkt“ in Stuttgart bestätigt das. Die große Gefahr von Fentanyl ist, dass Konsumierende sich bei der Dosierung leicht verschätzen. „Bei missbräuchlichem Konsum besteht die Gefahr einer tödlichen Überdosierung, da Fentanyl die Atmung bis hin zum Atemstillstand verlangsamt“, sagt das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW). Knapp 70.000 Menschen starben 2021 in den USA an einer Überdosis von Opioiden, hauptsächlich Fentanyl. Das entspricht mehr als 150 Todesfällen pro Tag. Die USA befinden sich in einer Krise, die alle Bereiche der Gesellschaft betrifft. 

Bisher Entwarnung für Deutschland

Im Vergleich dazu gab es 2021 in Deutschland insgesamt nur 102 Todesfälle durch synthetische Opioide. Die Deutsche Aidshilfe (DAH) startete 2023 ein Bundesmodellprojekt namens „Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen“ (RaFT). Bei dem Projekt wurde Heroin in Drogenkonsumräumen auf eine Beimischung von Fentanyl getestet. Von 1.401 Heroin-Proben wiesen 3,6 Prozent eine Beimischung auf.

Das BKA gibt deshalb vorerst Entwarnung: Fentanyl spiele in Deutschland bisher eine untergeordnete Rolle. Synthetische Opioide könnten jedoch in Zukunft an Bedeutung gewinnen, befürchtet das LKA BW. Ein Grund dafür sei, dass Fentanyl oft als Ausweichdroge benutzt wird, wenn Heroinmangel herrscht. Das deutsche Heroin kommt teilweise aus Afghanistan nach Deutschland. Dort herrscht unter den Taliban jedoch ein Anbauverbot von Schlafmohn, welches benötigt wird, um Heroin zu produzieren. Das BKA hat die Entwicklung in Deutschland also weiterhin im Fokus. Die deutsche Aidshilfe fordert, Konsumierende verstärkt über die Gefahren von Fentanyl und die Risiken einer Überdosis aufzuklären. Außerdem sollen in Drogenkonsumräumen Schnelltests auf eine Beimengung von Fentanyl bereitliegen.

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| Quelle: Deutsche Aidshilfe (Februar 2024)

Warum die Droge in den USA boomt

Es gibt verschiedene Gründe, warum die Droge in Deutschland bisher noch nicht so verbreitet ist wie in den USA. Zum einen unterscheiden sich die Gesundheitssysteme stark voneinander. Des Weiteren nennt das LKA BW die einfache Verfügbarkeit von opioidhaltigen Schmerzmitteln in den USA. Dort wurden Opiate eine Zeit lang sehr leichtfertig verschrieben. Nachdem dies wieder strenger kontrolliert wurde, wandten sich die Konsument*innen an den Schwarzmarkt. Laut dem BKA stammt das illegale Fentanyl heutzutage meist aus mexikanischen Drogenkartellen sowie von chinesischen Chemikalienhändlern. 

Ein weiterer Grund ist, dass die Droge im Vergleich mit anderen Drogen wie beispielsweise Heroin viel einfacher und günstiger zu produzieren ist. Laut dem LKA BW bekommt man in den USA eine Fentanyl-Tablette bereits für einen US-Dollar. Außerdem könne bereits aus einer kleinen Menge eine Vielzahl an Konsumeinheiten generiert werden, so das BKA.

„There's really no way to crawl yourself out.”

Kate Napolitana

Eine Frage der Zeit, bis es jemanden trifft, den man kennt

Kate Napolitana hat die Auswirkungen der Fentanyl-Krise mit eigenen Augen gesehen. Sie lebt ebenfalls in San Francisco und arbeitete 2023 in dem Stadtteil „Tenderloin“, der bekannt für sein Drogenproblem ist. Sie macht vor allem das mangelnde Sicherheitsnetz der USA für die Krise verantwortlich. „There's really no way to crawl yourself out”, sagt Napolitana. Fentanyl macht auch vor jungen Menschen nicht Halt. Erst habe einer ihrer Freunde einen engen Bekannten an die Droge verloren. Für sie sei es nur eine Frage der Zeit, bis es jemanden trifft, den sie persönlich kenne. Napolitana wünscht sich von der Regierung eine bessere Aufklärung an Schulen.

Opiat-Antagonist: Wirkstoff Naloxon als Nasenspray
Das Nasenspray Naloxon kann Leben retten.
Quelle: Jeremy Bishop - Unsplash

Echte Hilfe statt Kriminalisierung

Im Falle einer Überdosis kann das Notfallmedikament Naloxon verabreicht werden. Es wirkt als ein Opioid-Antagonist, blockt also die Rezeptoren im Gehirn, an die das Opioid ansetzt. Verabreicht wird es in Form eines Nasensprays. Brown hat während ihrer Arbeit beim Rettungsdienst den Einsatz von Naloxon gesehen. „Es ist sehr unangenehm, [nach der Verabreichung von Naloxon] aufzuwachen. Die Menschen wachen mit Entzugserscheinungen auf, übergeben sich und sind sehr unruhig.“ Brown hofft, dass die USA eine Lösung für das Fentanyl-Problem finden, anstatt die Menschen nur zu kriminalisieren. Denn sonst wiederholen sich die gleichen Probleme immer wieder. Stattdessen wünscht sie sich ein System, das den Menschen hilft, sich von der Drogensucht zu erholen.

 

* Der Name der Protagonistin wurde geändert. Die Identität ist der Redaktion bekannt.