„Nach so einem Wochenende im Hochwasser ist man wirklich körperlich kaputt“.
Seit Tagen sind weite Teile Süddeutschlands von Starkregen betroffen. Es ist Freitagabend als der Alarm losgeht. Michael Wiedmann – Vorsitzender der Wasserwacht Immenstadt im Allgäu wird zum Einsatz gerufen.
Die rund 130 Kilometer entfernte Stadt wird von einer Hochwasserkatastrophe heimgesucht. Doch vor Ort können die Hilfskräfte die Lage nicht mehr alleine bewältigen. Sie brauchen Unterstützung. Inzwischen liegt das,was an diesem Wochenende in Günzburg geschah, drei Monate zurück. Doch die Bilder von der Überschwemmung in Günzburg an der Donau die auf Michael Wiedmann an jenem Wochenende im Mai einstürmten, gehen ihm bis heute nicht aus dem Kopf. Die Verzweiflung in den Augen der Menschen, die sie aus ihren Häusern retten mussten, die zerstörten Wohnungen.
Auch an diesem Tag im Juli 2024. Einem Tag mit Normalbetrieb, für einen Wasserwachtler wie ihn. Es ist 10 Uhr morgens, als vereinzelt ein paar Leute mit einem Stand-up Paddle auf den Alpsee hinausfahren. Noch wirkt die Idylle perfekt. Nichts deutet darauf hin, dass die Mitglieder von der Wasserwacht Immenstadt heute richtig viel Arbeit bekommen werden. Die Luft ist schwül, warm und beinahe unbewegt. Am Himmel sind nur wenige Wolken zu erkennen, die sich leicht im ruhigen Wasser des großen Natursees spiegeln.
Rund einen Monat nach der Überschwemmung in Günzburg sitzt Michael Wiedmann alleine auf einer Bank im Schatten vor der Unterkunft des Vereins. Im Hintergrund läuten friedlich die Kuhglocken, während Wiedmann von der angespannten Lage in den Hochwassergebieten erzählt. Eine neue Erfahrung für den 32- jährigen Maschinenbauingenieur. Noch nie musste er in seiner langjährigen Mitgliedschaft wegen eines Hochwassers ausrücken. „Ich habe als Kind angefangen. Meine Kumpels waren auch schon wie deren Eltern Mitglied bei der Wasserwacht. Da bin ich dann mit, und irgendwie hängen geblieben“, erinnert er sich mit einem Lächeln. Nach seinem Training bei der Jugendgruppe unterstützt Wiedmann mittlerweile seit 15 Jahren in seiner Freizeit die Wasserwacht im aktiven Dienst.
Ehrenamtliche Lebensretter
Eine ehrenamtliche Tätigkeit, der 137 000 Menschen in Deutschland ebenfalls nachgehen. Der Verein ist nach der Deutschen-Lebens-Rettungs-Gesellschaft“ (DLRG) die größte Organisation für Wasserrettung in der Bundesrepublik. Seit 1883 ist die Wasserwacht eine Gemeinschaft des „Deutsche-Roten-Kreuzes“ (DRK). Entstanden ist sie damals in Regensburg, beim ersten Rettungseinsatz während des Donau-Hochwassers. Neben dem Katastrophenschutz und der Wasserrettung zählt die Ausbildung im Rettungsschwimmen und die Erhöhung der Sicherheit an Gewässern zu den wichtigsten Aufgaben. Obwohl die Rettung im Hochwasserfall schon von Beginn an zu den Kernaufträgen gehört, nehmen die Einsätze laut dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in den letzten Jahren zu. Grund hierfür sind vor allem steigende Niederschlagsmengen im Land. Laut einer Statistik des Deutschen Wetterdienstes gab es im Zeitraum von August 2023 bis Juli 2024 noch nie so viel Niederschlag seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881. Besonders Starkregenereignisse sind schwer vorhersehbar und meist lokal begrenzt, was die Einsatzkräfte nach Angaben des BRK vor eine Herausforderung stellt. Ist die Lage wie in Günzburg kritisch und von den örtlichen Hilfskräften nicht mehr zu bewältigen, werden Helfende wie Wiedmann von anderen Standorten hinzugezogen.
Kräfte am Limit
Während eines Einsatzes in Günzburg stieß Wiedmann dann an seine Grenzen. „Wir sollten einmal ein paar Bewohner aus ihrem Haus retten“, erzählt er. „Allerdings haben wir schon gesehen, dass die Strömung ziemlich stark ist. Da mussten wir dann einen Umweg fahren, um das Haus zu erreichen. Das hat zwar länger gedauert, aber lieber so als dass man sich selbst noch in Gefahr bringt“, fügt er hinzu und zeichnet mit seinen Gesten den Verlauf des Umwegs nach. Selbstschutz hat in diesem Fall oberste Priorität. „Im Gegensatz zu einem See, kann bei so einer Flut durch die Strömung alles an dir vorbei gespült werden. Da schwimmen Mülltonnen, Autos, Holz oder auch Gasflaschen mit Grill an dir vorbei. Also praktisch alles, was so herumsteht. Das kann dann schon gefährlich werden“, erklärt Wiedmann. Hinzu kommt die starke körperliche Belastung, die nicht unterschätzt werden darf. „Nach so einem Wochenende im Hochwasser ist man wirklich körperlich kaputt“, gesteht er.
Die intensive Beanspruchung während eines Einsatzes zeigt, wie wichtig es ist, genügend gut ausgebildete Mitglieder zu haben. Obwohl die Zahl der Ehrenamtlichen in der Wasserwacht seit Jahren kontinuierlich ansteigt, fehlt es dennoch an Menschen, die sich langfristig engagieren. So benötige die Wacht laut dem BRK vor allem Ehrenamtliche, die nicht nur vorübergehend helfen wollen, sondern Zeit in eine professionelle Ausbildung investieren. Die Herausforderung besteht jedoch nicht allein darin, neue Mitglieder zu gewinnen und dauerhaft zu binden. Gerade bei Einsätzen tagsüber und unter der Woche, wenn die meisten ihrem Hauptberuf nachgehen, gibt es Situationen, bei denen die Kapazitäten der Wasserwacht nicht ausreichen.
„Wir haben während so einem Einsatz eigentlich immer mit ganz vielen Leuten zu tun“, bestätigt Wiedmann. Trotzdem sind die Ehrenamtlichen der Wasserwacht in vielen Bereichen immer noch nicht gleichgestellt, mit den Helfern und Helferinnen von anderen Organisationen wie der Feuerwehr. Das BRK hält es für notwendig, vor allem eine Einheitlichkeit bei der Freistellung vom Arbeitsplatz, Verdienstausfallleistungen an die Arbeitgeber sowie ein Recht zur Freistellung bei Aus- und Fortbildungen zu schaffen, um die Arbeit künftig effektiver zu gestalten. Kapazitätsprobleme hat Michael Wiedmann in Immenstadt im Allgäu bisher glücklicherweise noch nicht. Während bei einem Hochwasser sogenannte „Hochwasserzüge“ zum Einsatz kommen, die selbst noch einmal in mehrere Hilfsgruppen unterteilt sind, werden für den regulären Wachdienst fünf Mitglieder benötigt.
Der Dienst beginnt
Es ist 12 Uhr mittags, als das kleine Motorboot der Wasserwacht ins Wasser rollt. Mittlerweile sind die restlichen Mitglieder für heute eingetroffen. Wiedmann streift sich schnell das weiße T-Shirt der Wasserwacht über seine große Statur. Auf seiner linken Brust prangt das Logo: ein blauer Rettungsring mit einem roten Kreuz in der Mitte. Eine rote Baseballcap, die ebenfalls seine Zugehörigkeit zur Wasserwacht ausweist, sitzt auf seinen braunen Haaren.
Der Wetterbericht sagt für 15 Uhr ein Gewitter voraus. Vorher soll eine Segelregatta stattfinden. Wiedmann und sein Team sind sich einig: Vor allem die Regatta müssen sie gut im Blick behalten.
Den See hat er trotzdem im Blick. Die Anzahl der Segelboote wächst, aber noch gleiten sie ruhig über das Wasser.
Fließwasserretter*innen werden wichtiger
Entscheidet man sich nach dem Training bei der Jugendgruppe zu bleiben, macht man zuerst eine Ausbildung zur Rettungsschwimmerin oder zum Rettungsschwimmer. „Nach dem Rettungsschwimmer folgen dann weitere Ausbildungen bis man Wasserretter ist. Der ist dann sozusagen die Basis, für alles Weitere wie der Bootsführer- Luft- oder Fließwasserretter“, erklärt Wiedmann. Besonders die Ausbildung zum Fließwasserrettenden, bei der die Rettung in Flüssen und Strömungen geübt wird, ist wichtig im Einsatz in Hochwassergebieten. Diese hat in den vergangenen Jahren schon deutlich an Bedeutung gewonnen. „Ich könnte mir vorstellen, dass in Zukunft im Hinblick auf die Hochwasserkatastrophen noch mehr Fokus auf diesen Bereich der Ausbildung gesetzt wird“.
Vorbei mit der Ruhe
Es ist zwei Uhr nachmittags, als sich der Himmel zuzieht. Auf dem See ist es inzwischen mit der Ruhe vorbei. Der Himmel hat sich zugezogen, der Wind ist stärker geworden. Die Fahne der Wasserwacht flattert wild, das Wasser ist aufgewühlt. Die Boote draußen haben zu kämpfen. Und dann passiert es: Eine Böe wirft eines der Boote um. Alarm!
Doch leider ist das nicht jedes Mal der Fall. Die Wasserwacht zu unterstützen, kann nicht nur körperlich, sondern auch psychisch herausfordern sein. Auch in Günzburg ist ein Feuerwehrmann, der auf einem Rettungsboot Menschen evakuieren wollte, ums Leben gekommen. „Ich bin froh, dass ich nicht auf dem Boot gewesen bin, wo das passiert ist. Das ist für alle, die da drauf waren richtig mies“, erzählt Wiedmann, während er sich noch einmal an das Ereignis zurückerinnert. Hilfe gibt es in so einem Fall von der psychosozialen Notfallversorgung des BRK. „Am wichtigsten finde ich aber immer, dass man miteinander darüber redet“, sagt Wiedmann.
„Am wichtigsten finde ich aber immer, dass man miteinander darüber redet.“
Das umgekippte Segelboot bleibt an diesem Nachmittag nicht das Einzige. Noch zehn Mal muss das Rettungsteam auf dem See Hilfe leisten, ein Boot müssen sie sogar abschleppen. Als Wiedmann Feierabend macht, ist das Unwetter abgezogen. Doch schon wenige Stunden später setzt Starkregen ein. Und der 32-Jährige weiß nur zu genau, was das für die Wasserwacht bedeuten kann.
Alle Bilder aus dem Hochwassergebiet wurden von dem Bayrischen Roten Kreuz aufgenommen und der Autorin freunlicherweise zur Verfügung gestellt - Bilder und Videos vom Alpsee wurden von der Autorin selbst aufgenommen.