„In Dänemark werden Ministerinnen vom Parlament viel kritischer und häufiger hinterfragt als Minister.“
Sind wir glücklicher, wenn Frauen regieren?

Finnlands Führungskrise beginnt am Morgen des 8. März 2019. Die Regierung unter Ministerpräsident Juha Sipilä wird einen Monat vor der Parlamentswahl wegen einer gescheiterten Reformverhandlung aufgelöst. Sein Nachfolger Antti Rinne tritt nach nur 25 Wochen wegen eines Vertrauensverlusts seiner Koalition in einem Tarifstreit zurück. Aus der zweiten Regierungskrise geht Sanna Marin mit nur 34 Jahren als jüngste Ministerpräsidentin der Welt hervor – an ihrer Seite eine Fünf-Parteien-Koalition, angeführt von fünf Frauen in einem weiblich dominierten Kabinett. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in den anderen nordischen Ländern: Zur gleichen Zeit regiert Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in Dänemark und Katrín Jakobsdóttir in Island. In Norwegen steht Erna Solberg an der Spitze der Regierung. Schweden nennt sich selbst als bisher einzige Regierung „feministisch“. Allerdings führt zu diesem Zeitpunkt Stefan Löfven die Regierung. Bekannt sind die nordischen Länder für ihre hohe Gleichberechtigung und gesellschaftliche Zufriedenheit. Sorgen also die hohen Frauenanteile in den Regierungen der nordischen Ländern für mehr strukturelle Gleichstellung und Zufriedenheit in der Bevölkerung?
Der Frauenanteil in den Regierungen der nördlichen Länder – „the Nordics“, wie Island, Norwegen, Finnland, Schweden und Dänemark im politischen Kontext bezeichnet werden – ist im Vergleich sehr hoch. Anfang dieses Jahres können die nordischen Länder Frauenanteile im Parlament zwischen 43,6 und 46 Prozent aufweisen. Deutschland dagegen hat nur einen Frauenanteil von 35,7 Prozent. Zudem hatte Island bereits zwei Präsidentinnen und drei Premierministerinnen. Damit steht das Land an der Spitze der "Nordics", was Frauen Regierungsverantwortung betrifft. Sanna Marin ist bereits die dritte Frau, die in Finnland das Amt der Ministerpräsidentin antritt. Das Land hatte allerdings erst eine Präsidentin. Schweden und Norwegen hatten jeweils bereits eine Ministerpräsidentin. Dänemark hatte vor Frederiksen schon eine Ministerpräsidentin. Mit Angela Merkel hatte Deutschland seine erste Bundeskanzlerin.
Die Ministerpräsident*in in Finnland hat das Sagen bei alltäglichen Regierungsaufgaben, während die Präsident*in sich vorwiegend mit der Außenpolitik beschäftigt. Die isländische Premierminister*in kommt in ihrem Amt der Ministerpräsident*in Finnlands gleich, die Präsident*in hingegen erhält traditionell eine rein repräsentative Aufgabe. In Dänemark, Schweden und Norwegen herrscht eine parlamentarische Demokratie mit der Ministerpräsident*in an der Spitze der Regierung. Auf diese Weise haben die Ministerpräsident*innen beziehungsweise die Premierminister*innen Einfluss auf das aktuelle politische Geschehen und somit auf Themen wie Gleichberechtigung.
Quelle: Auswärtiges Amt, Finnische Regierung, Isländische Regierung, NZZ
Die Gleichberechtigung in den nordischen Ländern begann schon früh: Finnland war das erste europäische Land, dass 1906 das volle Wahlrecht einführte, welches Frauen erlaubte, zu wählen und sich zur Wahl aufstellen zu lassen. 1913 folgt Norwegen dem Vorbild Finnlands. Weitere zwei Jahre vergingen, bevor Dänemark und Island in der Gleichstellung so weit kamen. Zum Vergleich: Deutschland hat das Frauenwahlrecht 1918 und Schweden erst 1921 etabliert. „Die nordischen Länder sind Vorreiter beim Thema Gleichberechtigung und sind darauf natürlich auch entsprechend stolz“, bemerkt Corinna Kröber, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Greifswald.
Der „Global Gender Gap Report“ misst jährlich die geschlechterspezifischen Unterschiede und Entwicklungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Bildung und Gesundheit. Die Länder erhalten einen Wert zwischen Null und Eins. Je größer diese Zahl und somit auch die Gleichberechtigung, desto höher der Platz im globalen Ranking.
Quelle: World Economic Forum (WEF)
In vier von fünf nordischen Ländern gibt es laut dem „Global Gender Gap Report 2024“ Frauenquoten in der Politik für nationale Wahllisten und freiwillige für die Parteimitgliedschaften. Finnland verfügt nur über eine freiwillige Quote für Parteien. Trotz der Frauenquoten berichtet Corinna Kröber von „Barrieren, die man durch den hohen Frauenanteil nicht sieht, allerdings durchaus noch in der Arbeitsrealität der Frauen im Parlament existieren. In Dänemark werden Ministerinnen vom Parlament viel häufiger und kritischer hinterfragt als Minister. Generell werden oft höhere Erwartungen und Anforderungen an Frauen gestellt als an Männer. Sie müssen länger im Parlament gewesen sein, um in die Regierung zu kommen. Außerdem müssen sie manchmal sogar bessere Arbeit als Männer leisten, um in wichtige Positionen zu kommen.“
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Wo Gleichberechtigung gelebt wird
Die nordischen Länder übernahmen auch im „Global Gender Gap Report“ im vorangegangenen Jahr die Spitze. Die ersten drei Plätze gehen an Island, Finnland und Norwegen. Schweden folgt auf dem fünften Platz. Ausschließlich Dänemark liegt auf dem 15. Platz weiter zurück. Allerdings offenbart der „Global Gender Gap Report“ auch, dass selbst der Norden noch einen weiten Weg bis zur vollständigen Gleichstellung vor sich hat. Auch beim Vergleich der Gehälter für gleiche Arbeit von Männern und Frauen hat Island auf dem fünften Platz des globalen Rankings die Nase vorne. Finnland besetzt den achten Platz. Schweden auf dem 40. Platz und Dänemark auf dem 49. Platz liegen weit hinten. Für Norwegen liegen keine Werte vor. Auch wenn Island und Finnland einen hohen Platz ergattert haben, lässt sich trotz allem immer noch eine wesentliche Differenz der Gehälter von Männern und Frauen feststellen.
Nordisches Erfolgsmodell: Der Wohlfahrtsstaat
Corinna Kröber erklärt die gesellschaftliche Bedeutung des Wohlfahrtsstaats in den nordischen Ländern: „Die skandinavischen Länder haben einen sehr ausgedehnten Wohlfahrtsstaat, der eine ganze Reihe von Effekten auf die Gleichstellung hat. Dazu gehört eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf und so beispielsweise auch von Politik und Familie. Er sorgt für ein sehr großes Gleichheitsverständnis, denn alle haben freien Zugang zum Wohlfahrtsstaat, zur Gesundheitsvorsorge und zur sozialen Absicherung. Daher kommt auch der Gedanke in der Identität der Länder, dass auch das Thema Gleichstellung wichtig ist.“
In Dänemark, Finnland und Schweden ist die Kinderbetreuung Teil des sozialen Wohlfahrtsstaats. Er sorgt für finanzielle Unterstützung für die Kosten der Kinderbetreuungen und Vorschulen sowie einen allgemeinen, gesetzlich verankerten Anspruch auf einen Platz in öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen. Die großzügigen Elternzeitregelungen in Norwegen, Finnland, Schweden und Dänemark beinhalten eine sogenannte „Väterquote“, bei der ein Teil der Elternzeit speziell für den Vater reserviert ist.
Diese Errungenschaften in der Gleichberechtigung durch den Wohlfahrtstaat hätten auch erst ermöglicht, dass überhaupt so viele Frauen in die Politik gekommen seien. Jetzt würden die Frauen den Wohlfahrtsstaat wiederum ausbauen, so Corinna Kröber.
Das Glück liegt im Norden
Laut dem World Happiness Report (WHR) liegt Finnland mit der glücklichsten Bevölkerung seit acht Jahren an der Spitze aller Länder. Auch die restlichen nordischen Länder schneiden dabei jährlich sehr gut ab. In den vergangenen sechs Jahren lagen die fünf Länder konsequent in den Top acht im weltweiten Vergleich.
Der „World Happiness Report” ist ein jährlich veröffentlichter Bericht, der die globale Zufriedenheit untersucht und mögliche Verbesserungsansätze entwickelt. Das Ranking wird von der Universität Oxford in Zusammenarbeit mit Gallup und der Initiative „Sustainable Development Solutions Network“ der Vereinigten Nationen veröffentlicht.
Quelle: World Happiness Report (WHR)
Berechtigterweise stellt sich nun die Frage, inwieweit dieses Glück mit der Regierung der nordischen Länder zusammenhängt. Corinna Kröber stellt fest: „Frauen haben durch ihre Rolle im Wohlfahrtsstaat auf jeden Fall einen Einfluss auf die Zufriedenheit.“ Zudem belegt eine Studie der Politikwissenschaftler Richard A. Easterlin und Kelsey O'Connor, dass die Verbesserung der Wohlfahrtstaatlichkeit eine signifikante Steigerung der Zufriedenheit erzielt. Die nordischen Länder hatten über lange Zeit bereits eine hohe Zufriedenheit: Diese kann allerdings immer wieder leicht abfallen, da es schwer ist, dieses hohe Niveau überhaupt noch zu verbessern.
Zum Vergleich findet sich Deutschland auf dem WHR durchschnittlich auf Platz 19 wieder. In diesem Zusammenhang muss auch noch das ostafrikanische Land Ruanda betrachtet werden, denn dort liegt der Frauenanteil im Parlament im Jahr 2019 bei 61,3 Prozent. Als weltweiter Spitzenreiter landet das Land im selben Jahr trotz der hohen Repräsentation der Frau in der Politik jedoch nur auf Platz 150 im WHR. Allerdings hat das Land mit seiner Kriegsvergangenheit und der weitverbreiteten Armut stets zu kämpfen, was sich auf die Zufriedenheit der Bevölkerung auswirken kann.
Die nordischen Länder sind also Vorreiter für strukturelle Gleichstellung und Zufriedenheit. Allerdings finden sich auch auf diesem hohen Niveau noch Herausforderungen, welche einer vollständigen Gleichstellung der Geschlechter im Weg stehen. Die Frauen in der Politik der nordeuropäischen Länder setzen sich dafür ein, dass diese geschlechterspezifischen Ungleichheiten beseitigt werden.