Wer fit sein will, muss Kapseln schlucken?
„Die drei wichtigsten Supplements” oder „Nahrungsergänzungsmittel, die du jeden Tag nehmen solltest”: Auf Instagram und TikTok kommt man an den Beiträgen zu Vitamin D und Co. kaum vorbei. Eines haben fast alle gemeinsam: die Botschaft, die Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Vor allem im Sport – scheinbar unabhängig von persönlichen Faktoren wie der Intensität oder Dauer des Trainings. Laut Statistischem Bundesamt treiben die Menschen in Deutschland in ihrer Freizeit etwas mehr Sport als früher: 2022 waren Personen ab zehn Jahren durchschnittlich 34 Minuten pro Tag sportlich aktiv, 2012 waren es 29 Minuten.
Was ist Freizeitsport?
Aktuell gibt es keine einheitliche Definition des Begriffes „Freizeitsport“. Im Allgemeinen ist damit jener Sport gemeint, der für die breite Bevölkerung zugänglich ist und in der Freizeit betrieben wird. Dauer, Häufigkeit, Zeitpunkt, Intensität und Ambitionen können dabei von den Sporttreibenden selbst festgelegt werden. Die Teilnahme an Wettkämpfen und Sportevents sowie die Mitgliedschaft in Vereinen ist ihnen freigestellt. Motive für Freizeitsport sind in der Regel Spaß, Gesundheit, Fitness, Geselligkeit und das Erkunden der persönlichen Grenzen.
Die Trainingsintensität ist im Freizeitsport eher gering. Ist bei moderater körperlicher Belastung eine Supplementierung mit Nahrungsergänzungsmitteln erforderlich?
Nahrungsergänzungsmittel vs. funktionelle Lebensmittel
Nahrungsergänzungsmittel gehören rechtlich gesehen zu den Lebensmitteln. In kleinen Dosen als Kapseln, Tabletten, Pulverbeutel oder Flüssigampullen enthalten sie unter anderem Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren oder Ballaststoffe. Diese liegen in konzentrierter Form vor und haben eine ernährungsspezifische Wirkung oder eine Auswirkung auf den menschlichen Organismus. Sie dürfen keine Wirkung wie Arzneimittel haben. Nahrungsergänzungsmittel sollen die allgemeine Ernährung nur ergänzen, können eine ausgewogene Ernährung aber nicht ersetzen.
Proteinriegel oder isotonische Getränke sind keine Nahrungsergänzungsmittel, sondern „funktionelle Lebensmittel”. Sie unterliegen keiner rechtlichen oder offiziellen Definition und werden meist als Lebensmittel bezeichnet, deren Nutzen über die reine Ernährungsfunktion hinausgeht. Sie sind im Handel als gewöhnliche Nahrungsmittel zu finden. Herstellende Unternehmen dürfen nur Versprechungen machen, die wissenschaftlich belegt sind und nicht in die Irre führen. Funktionelle Lebensmittel enthalten meist Stoffe oder Mikroorganismen, die gesundheitsfördernd oder krankheitsvorbeugend wirken sollen. Zugesetzte Inhaltsstoffe können Nährstoffe, Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe oder andere Substanzen sein.
Moritz Wagner ist Geschäftsführer des Fitnessstudios Peaks in Isny im Allgäu. Er hat in den letzten Jahren bemerkt, dass Freizeitsportler*innen nicht selten zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen. Im Kraftsport sei Supplementierung dabei weiter verbreitet als im Ausdauersport, berichtet Wagner von seinen Beobachtungen. Klassiker seien Proteinpulver, Vitamine und Kreatin.
„Oft versprechen sich gerade Freizeitsportler viel von Nahrungsergänzungsmitteln. Die größte Fehlannahme ist dabei, dass ein Supplement Wunder bewirken kann und im Sport damit schnell große Fortschritte erzielt werden können. Erfahrene Sportler wissen, dass Nahrungsergänzungsmittel nur dabei helfen, den Körper bei einer normalen Funktionsweise zu unterstützen.”
Haben Freizeitsportler*innen einen erhöhten Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen?
Generell gilt: Nur weil Sportler*innen sich körperlich betätigen, haben sie nicht automatisch einen erhöhten Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen. Laut der Arbeitsgruppe Sporternährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) lässt sich das nur schwer bestimmen: Der Bedarf hängt von vielen verschiedenen Parametern ab, etwa von der Art und Intensität des Trainings oder dem Geschlecht. Wenn sich Sportler*innen ausgewogen ernähren, haben sie in der Regel keinen Versorgungsmangel an Vitaminen und Mineralstoffen.
Was sind Mikronährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe?
Vitamine können vom menschlichen Körper nicht oder nicht ausreichend produziert werden. Für den Menschen sind sie aber essenziell und werden darum über die Nahrung aufgenommen. Sie werden von Pflanzen und Mikroorganismen gebildet. Vitamine sind vor allem in pflanzlicher Nahrung enthalten, zum Beispiel in Obst, Gemüse oder Getreide.
Mineralstoffe kommen in pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln vor. Der menschliche Körper braucht sie in unterschiedlichen Mengen. Sie sind darum in sogenannte Mengen- und Spurenelemente eingeteilt: Calcium und Magnesium sind Mengenelemente, während Eisen und Jod zu den Spurenelementen gehören.
Vitamine und Mineralstoffe zählen zu den Mikronährstoffen. Diese sind Nährstoffe, die in sehr geringen Mengen dazu benötigt werden, die Gesundheit aufrechtzuerhalten. Sie sind auch für das Wachstum wichtig.
Sportbedingte Mikronährstoffverluste können etwa davon kommen, dass man bei körperlicher Anstrengung schwitzt. Die Versorgung mit Mikronährstoffen mag kritisch sein, wenn man bei ambitioniertem Training eine bestimmte Gewichts- oder Leistungsklasse erreichen will. In Kampfsportarten wie Judo essen Athlet*innen darum zeitweise weniger. Variiert die Ernährungsweise, gelingt es Sportler*innen nicht immer, sich ihrem Bedarf entsprechend zu ernähren. Menschen, die Ausdauer- oder ästhetische Sportarten wie rhythmische Sportgymnastik ausüben, haben oft ein eingeschränktes Essverhalten. Hier reicht die über die Ernährung zugeführte Menge an Eisen und Calcium teilweise nicht aus.
Eine vegetarische Ernährung ist laut DGE für Sportler*innen unproblematisch. Die Studienlage zu veganer Ernährung sei noch zu gering, um gesundheitliche Auswirkungen für Sportler*innen einzuschätzen.
In einem Positionspapier hält die DGE-Arbeitsgruppe Sporternährung fest: Sportler*innen sind insgesamt ähnlich gut mit Mikronährstoffen versorgt wie die Allgemeinbevölkerung. Pauschalaussagen ließen sich jedoch nur schwer treffen, denn die Versorgung ist für jede*n individuell.
Sonderfall Vitamin D
Bei Vitamin D ist feststellbar, dass die Versorgung in der Gesamtbevölkerung und bei Sportler*innen abhängig von der Jahreszeit nicht ausreicht. Ob hier eine Supplementierung die sportliche Leistungsfähigkeit verbessert, ist noch nicht ausreichend erforscht.
…Wenn ja: Können Freizeitsportler*innen einen erhöhten Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen allein durch die Ernährung decken?
Franziska Beus, Sportwissenschaftlerin in der Abteilung Sporternährung an der Deutschen Sporthochschule Köln, erklärt: „Es sollte immer der Food-First-Ansatz gelten.” Das bedeutet: Nährstoffe sollten Sportler*innen primär über die Ernährung aufnehmen.
Kohlenhydrate spielen für ihre Energieversorgung eine wichtige Rolle. Darum haben Ausdauersportler*innen meist einen hohen Anteil an Brot und Nudeln auf dem Speiseplan. Schweißbedingte Mikronährstoffverluste können Freizeitsportler*innen etwa mit Gemüse oder Bananen ausgleichen, die unter anderem Magnesium und Kalium enthalten. Besonders Sporttreibende, die eine bestimmte Gewichtsklasse erreichen wollen, sollten auf einen vollwertigen Ernährungsplan achten.
Laut Achim Bub, Ernährungsmediziner am Max Rubner-Institut, gäbe es speziell für Freizeitsportler*innen insgesamt keinen Grund, Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen. „Mit einer abwechslungsreichen Ernährung besteht bei der überwiegenden Zahl der Nährstoffe eben auch kein Risiko für eine Mangelversorgung”. Auch Diplom-Ernährungswissenschaftler Karsten Köhler merkt an: „Dieser Gedanke, ich muss Nahrungsergänzungsmittel nehmen, weil ich Sport mache, der ist auf jeden Fall fehl am Platz”. Eine vollwertige Ernährung versorgt Freizeitsportler*innen also ausreichend mit Nährstoffen.
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Gründe für Freizeitsportler*innen, trotzdem zu supplementieren
Dennoch kann es in bestimmten Fällen für Freizeitsportler*innen sinnvoll sein, ihre Ernährung gezielt durch das Supplementieren von Nahrungsergänzungsmitteln zu unterstützen. Beispielsweise wenn Nährstoffmängel durch eine ärztliche Untersuchung festgestellt wurden oder wenn bestimmte Lebensmittel aufgrund von Allergien oder Unverträglichkeiten nicht konsumiert werden können. Auch eine Schwangerschaft, bestimmte Ernährungsweisen (zum Beispiel vegane Ernährung) oder längere Reisen mit eingeschränkter Lebensmittelvielfalt oder -sicherheit können gute Gründe für eine Supplementierung sein.
Kann ich bei der Einnahme etwas falsch machen?
Viele Sportler*innen beschäftigen sich also mit Supplements und nehmen sie regelmäßig ein. Doch kann dabei auch etwas schieflaufen? Grundsätzlich sind Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel, keine Arzneimittel. Dementsprechend ist das Risiko, etwas bei der Einnahme falsch zu machen, überschaubar. Schließlich müssen Supplements dafür über einen längeren Zeitraum in einer sehr hohen Dosis eingenommen werden. Wichtig ist trotzdem, dass die Pillen, Pulver und Co. gemäß der Packungsangaben verzehrt werden und aus einer seriösen Quelle stammen. Denn innerhalb Deutschlands und der EU unterliegen Nahrungsergänzungsmittel den gesetzlichen Bestimmungen für Lebensmittel. Etikettierungsvorschriften verpflichten herstellende Unternehmen dazu, die für den täglichen Verzehr empfohlene Menge anzugeben und eine Warnung abzudrucken, diese Tagesdosis nicht zu überschreiten. Bei Nahrungsergänzungsmitteln, die aus dem EU-Ausland stammen, könnten die Konzentration des Inhaltsstoffes und die Qualität des Produktes anderen oder keinen Regularien unterliegen.
Das wohl größte Risiko von Nahrungsergänzungsmitteln ist, sie zu überschätzen. Denn bei einigen erwecken sie den Anschein, eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu ersetzen. Doch das ist nicht nötig und möglich. Denn wer sich gesund und ausgewogen ernährt, deckt damit in der Regel den jeweiligen Bedarf an Nährstoffen bereits ab. Wer trotzdem Nahrungsergänzungsmittel einnehmen möchte, sollte ein Auge auf die richtige Dosierung werfen. Denn bei einigen Präparaten kann eine langfristige Überdosierung Folgen haben. Bei einer zu hohen Einnahme kann beispielsweise Vitamin D im schlimmsten Fall eine Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen und Bewusstlosigkeit provozieren. Dabei ist besonders tückisch, dass Vitamin D durch seine Fettlöslichkeit im Körper gespeichert wird. Die Überdosierung kann sich also schleichend aufbauen.
Auch eine übertriebene Einnahme von Kalium kann gefährlich werden. Im schlimmsten Fall „ergänzt“ man sich selbst bis zur Hyperkaliämie. Diese kann die Muskeln und das Herz in ihrer Funktion beeinträchtigen oder sogar lähmen. Ähnlich verhält es sich bei Omega-3. Eine Einnahme von über einem Gramm am Tag kann bei Menschen mit einem vorerkrankten Herzen das Risiko für Vorhofflimmern erhöhen.
An wen kann ich mich bei Fragen wenden?
Wie bei den meisten Gesundheitsfragen sollte auch hier der erste Weg zu den Hausärzt*innen führen. Sie wissen in aller Regel am besten über den individuellen Gesundheitszustand und die Lebensumstände Bescheid. Mittels eines Bluttestes lässt sich ein bestehender Mangel am einfachsten erkennen. Bei Fragen zu einem konkreten Ergänzungsmittel können außerdem Apotheker*innen weiterhelfen.
Wer sich selbst schlaumachen möchte, kann auf die Angebote der Verbraucherschutzzentrale zurückgreifen. Dazu gehört auch eine Checkliste, die alle Kriterien für den Kauf von Nahrungsergänzungsmitteln zusammenfasst.
Wer fit sein will, muss keine Kapseln schlucken
Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ist für Freizeitsportler*innen also nur in bestimmten Fällen erforderlich. Darüber hinaus ist der Bedarf sehr individuell und hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, etwa der Trainingsintensität. Sporttreibende sollten auf eine Ernährungsweise achten, die ihren sportbedingten und gesundheitlichen Bedürfnissen entspricht. Wer diese durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln unterstützen möchte, sollte zuvor ärztlichen Rat einholen und ausschließlich seriösen Informationsquellen vertrauen.