Single-Leben

Zwischen Liebe und Einsamkeit

Egal ob in einer Beziehung oder nicht: Viele Menschen sind oft allein und müssen mit der Begleiterscheinung Einsamkeit leben.
12. Mai 2022
Single, allein, verzweifelt? Die Gesellschaft will dem Individuum vermitteln, man könne nur durch eine romantische Beziehung ein glückliches Leben führen. Warum ich mich von diesem Gedanken verabschiedet habe und im Alleinsein eine Chance sehe.

Zusammen mit zwei Freundinnen sitze ich in einem Café. Nach zahlreichen Tagen voller Stress sehnten wir uns nach tiefgründigen Gesprächen über alltägliche Herausforderungen, Selbsterfüllung und zwischenmenschliche Beziehungen. Ein paar Stunden später mache ich mich auf den Weg nach Hause und bin dankbar für unsere Freundschaft, durch sie fühle ich mich sehr geborgen.

Doch schon als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, kommt ein Gefühl in mir hoch, das ich zuerst noch unterdrücken kann. Schließlich telefoniere ich mit meinem besten Freund aus der Heimat. Wir hören nahezu wöchentlich voneinander, um uns von Höhen und Tiefen der letzten Zeit zu erzählen und trotz der Distanz füreinander da zu sein. Doch insgeheim auch, um dieses Gefühl zu unterdrücken, um nicht „allein“ zu sein.

Spätestens als ich auflege, kann ich es nicht mehr kontrollieren. Dieser Schmerz, dieses beengende und erdrückende Gefühl: Einsamkeit. Sie erwischt mich glücklicherweise nicht jedes Mal, nur weil ich niemanden um mich herum habe. Wenn aber doch, dann mit ihrer vollen Wucht, während ich alleine verzweifle, alleine esse, alleine bin. Ich lebe ohne Mitbewohner*innen oder Partnerin und bin deshalb oft unglücklich. Offenbar eine Leerstelle, die mich vor dem Glücklichsein allein gehindert hat.

Ein glückliches Leben als Single?

Singles wird so einiges unterstellt. Ihnen müsse doch etwas fehlen, man könne ohne Beziehung doch nicht wirklich ein erfülltes und glückliches Leben führen. Anfangs habe ich diese gesellschaftliche Annahme noch abgestritten. Je länger sich aber mein Beziehungsstatus nicht änderte, desto mehr fing ich an, die vorherrschende Meinung anzunehmen. Rückblickend verwundert mich das nicht, bis heute werden und wurden uns traditionelle soziale Modelle von Partnerschaft, Ehe und Familie vorgelebt, bis man sie auch selbst verinnerlicht. Unzählige Hollywood-Filme, #couplegoals auf Instagram oder Sprüche wie ,,Du findest schon noch den*die Richtige*n“: Überall werden Liebesbeziehungen romantisiert und das langersehnte, vollkommene Glück prophezeit, sobald man endlich seine große Liebe gefunden hat. So brannten sich Fantasien und selbstverständliche Vorstellungen über die große Liebe in meinem Kopf ein, an die ich bis zuletzt glaubte. Nach dem jahrelangen Fehlen der richtigen Partnerin an meiner Seite und der damit verbundenen Enttäuschung habe ich mich jedoch von dieser Vorstellungswelt verabschiedet. Meinen Kampf mit der Einsamkeit habe ich deshalb aber noch lange nicht gewonnen.

Zwischen Alleinsein und Einsamkeit

Da Alleinsein und Einsamkeit oft im gleichen Atemzug genannt werden, ist es wichtig, die beiden Begriffe voneinander zu unterscheiden. Allein ist man, wenn man sich in einem selbst gewählten, neutralen Zustand befindet, in dem keine andere Person dabei ist. Einsamkeit hingegen beschreibt ein negatives, subjektives Gefühl, wenn man sich mehr oder tiefere Beziehungen wünscht als man hat. Äußern kann sie sich bei jedem unterschiedlich, meist aber als ein trauriges, schmerzhaftes oder bedrohliches Empfinden. Schwierig wird es bei der Einordnung deshalb, weil ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen bestehen kann. Viele Menschen, mich eingeschlossen, beginnen sich nämlich dann einsam zu fühlen, sobald sie allein sind. Während das Alleinsein per se nicht krank machen kann, warnen Psycholog*innen seit Jahren vor den gravierenden negativen Auswirkungen, die chronische Einsamkeit für die körperliche und mentale Gesundheit haben kann.

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Langfristige Einsamkeit hat nicht nur psychische Auswirkungen auf uns. Sie bringt auch gravierende körperliche Risiken mit sich. | Quelle: Florian Frankenhuis

Leider bin ich mit meinen 21 Jahren nicht allein mit meiner Einsamkeit. Schon vor der Pandemie haben 18 bis 29-Jährige in einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Splendid Research angegeben, dass sich 36 Prozent von ihnen einsam fühlen, 23 Prozent sogar ständig. Wenn dann laut des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts 2018 auch noch etwa jede fünfte Person in Deutschland allein lebt, liegt nahe, dass zwischen Partner*innenlosigkeit und Einsamkeit ein Zusammenhang besteht. Haben wir, vor allem die Singles unter uns, verlernt oder nie erlernt, es mit uns selbst auszuhalten?

Das mag auf den ersten Moment wie ein Trugschluss erscheinen. Wie soll ich meine Einsamkeit allein unter Kontrolle bekommen, wenn man sich bei diesem Empfinden mehr oder tiefere Beziehungen wünscht? Vielleicht tritt dieses schmerzhafte Gefühl aber seltener auf, wenn wir Momente, die wir allein durchleben, positiv erfahren können. Egal ob Kochen, Lesen, Spazieren gehen oder kreativ werden: Wir können uns Zeit für die persönliche Erfüllung durch Hobbies und die kleinen Dinge nehmen, denen wir oft nicht genug Bedeutung zumessen oder nicht bewusst genießen. Erst die Zeit allein erlaubt es uns, sich tiefgehend mit uns selbst auseinanderzusetzen, zu reflektieren und uns selbst bewusst zu werden. Zusammengefasst können wir uns also vor allem um uns selbst kümmern und unser Glück nicht von anderen abhängig machen.

„Manche Menschen kommen in unser Leben und gehen auch wieder. Die intimste, beständigste und dauerhafteste Beziehung aber ist die, die wir mit uns selbst führen“

Gesundheitsberaterin Francie Healey und Journalistin Crystal Tai in ihrem Buch „Honjok – Die Kunst allein zu leben“

Warum nicht mal allein ins Kino gehen, sich in ein Café setzen oder allein verreisen? Zunächst war das auch für mich ein ungewöhnlicher Gedanke. Als ich mich aber überwunden und daran gewöhnt hatte, konnte ich diese Aktivitäten allein endlich genießen und wertschätzen. Ich entwickelte einen neuen Blick und erkannte, dass Unternehmungen allein auch erfüllend sein können. 

Ein junges Lebensmodell aus Südkorea namens Honjok verkörpert genau diese Denkweise. Honjokker*innen unternehmen Dinge allein, die man sonst wahrscheinlich nur zu zweit machen würde. Sie leben bewusst allein und sind damit glücklich und erfüllt. Dabei erkennen Gesundheitsberaterin Francie Healey und Journalistin Crystal Tai in ihrem Buch „Honjok – Die Kunst allein zu leben“ richtig: „Manche Menschen kommen in unser Leben und gehen auch wieder. Die intimste, beständigste und dauerhafteste Beziehung aber ist die, die wir mit uns selbst führen“.

Honjok (ausgesprochen „hon-juk


ist ein koreanischer Begriff, der sich aus hon (allein) und jok (Stamm) zusammensetzt. Der Begriff steht für ein Lebensmodell, nach dem man bewusst allein lebt und damit glücklich und erfüllt ist. Honjokker*innen sind nicht gegen eine Beziehung. Bis man sich ernsthaft verliebt, genießt man aber das Singleleben. 

Sie bilden damit eine Gegenkultur zur kollektivistisch geprägten Gesellschaft Südkoreas, die nach wie vor von konservativen Familienstrukturen geprägt ist. 
Erstmals tauchte Honjok 2017 als Hashtag in den sozialen Medien auf. 

Als soziale Wesen sind wir trotzdem auf Beziehungen zu anderen Menschen angewiesen. Wir brauchen Nähe, Anerkennung und sollen uns gut aufgehoben fühlen. Enge Freundschaften und Familie sorgen dafür, dass ich diese Bedürfnisse größtenteils befriedigen kann.


Am Ende können aber auch sie jemanden nicht vor dem negativ empfundenen Alleinsein retten. Denn egal ob man genug Freund*innen um sich herumhat, Single ist oder sich in einer Beziehung befindet: Man ist, zumindest für gewisse Momente, unausweichlich allein. Und auch die Einsamkeit wird sich nie komplett beiseiteschieben lassen.


Wir sollten beginnen, sie als Begleiterscheinung unseres Lebens zu akzeptieren und anzuerkennen, auch wenn es schwerfällt. Die Zeit allein als Chance sehen, für Selbstfürsorge, Reflexion und ein erfülltes und glückliches Leben, unabhängig vom Beziehungsstatus. Wenn ich also nach meinem nächsten Telefonat mit meinem Freund auf den roten Hörer drücke und wieder mit meinem Leben allein konfrontiert bin, werde ich darunter nicht leiden, sondern mich darauf freuen, mir jetzt Zeit für mich nehmen zu können.