„Vielleicht müsste es weniger Zigarettenautomaten geben oder Zigaretten nicht mehr überall erhältlich sein.“
Deutschland aus der Puste
Die Schulglocken läuten die Pause ein. Vom Schulgelände entfernt versammeln sich ein paar Personen. Es wird eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug aus dem Schulranzen gezückt. Ein Klicken und die Zigarette ist an. Der Tabak verbrennt und weißer Rauch steigt in die Luft. Es sind Schüler*innen, die rauchen. Sie sind minderjährig. Emilia Sokalska ist eine von ihnen. Als Jugendliche im Alter von 17 Jahren probierte sie, beeinflusst durch ihre Freund*innen, zum ersten Mal eine Zigarette. Ein scheinbar harmloser Zug an einer Zigarette, beeinflusste ihr ganzes Leben. Schlechter Schlaf und schlechte Laune - die Auswirkungen des Rauchens stellten für sie eine große Belastung dar.
In Deutschland rauchen laut dem Bundesministerium für Gesundheit (BfG) 22,7 Prozent der Erwachsenen ab 18 Jahren. Das sind etwa 12 Millionen Menschen. Bei Jugendlichen war bis 2021 zwar ein Rückgang zu erkennen, jedoch stieg laut Informationen der Tagesschau die Anzahl 2022 wieder und verdoppelte sich im Vergleich zum Vorjahr. Infolge dieses Tabakkonsums sterben laut BfG in Deutschland jährlich über 127.000 Menschen. Um die Nikotinsucht zu bewältigen, benötigen einige Raucher*innen mehrere Anläufe und eine starke Willenskraft.
Emilia ist heute 33 Jahre alt und Ex-Raucherin. Durch die Unterstützung ihrer Familie, vor allem durch ihre Schwester, konnte sie sich dazu ermutigen, nach 16 Jahren mit dem Rauchen aufzuhören. Sie entschied sich für eine homöopathische Behandlung bei Patrick Glashauser. Glashauser ist Heilpraktiker und sich sicher, dass das Angebot von Tabak stark reduziert werden sollte. In seine Praxis kommen viele Menschen zur Rauchentwöhnung. Um den Weg zurück in ein tabakfreies Leben zu finden und der Sucht zu entkommen, benötigen die meisten Patient*innen eine Ansprechperson. Genau deshalb müsse für ausreichend Anlaufstellen gesorgt sein, erklärt Glashauser. Die therapeutische Behandlung unterstütze Emilia dabei, sich das Rauchen und die damit verbundenen Gewohnheiten abzutrainieren. Zusätzlich zur Behandlung begann sie Sport zu treiben und widmete sich ihrem Hobby - dem Basteln.
Zigaretten überall und jederzeit
Wenn es um das Rauchen geht, ist Emilia sich bewusst, dass jeder für sich selbst Verantwortung trägt. Trotzdem würde sie sich mehr Prävention vonseiten der Politik wünschen. „Vielleicht müsste es weniger Zigarettenautomaten geben oder Zigaretten nicht mehr überall erhältlich sein", meint die 33-Jährige. Ebenfalls findet sie, dass das Erwerbsalter für Zigaretten zukünftig noch höher angesetzt werden könnte. Tatsächlich sind in keinem anderen EU-Land so viele Zigarettenautomaten aufgestellt wie in Deutschland, wie das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel bereits im Jahr 2017 berichtete. Für Raucher*innen bedeutet dies zusätzliche Möglichkeiten, Zigarettenschachteln jederzeit zu erwerben. Daher hat im Oktober 2023 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden, dass auch Zigarettenautomaten schon bald mit Warnhinweisen und Schockbildern versehen werden sollen. Damit diese bereits vor Ausgabe gezeigt werden.
Zigarettenautomaten bieten eine zusätzliche Möglichkeit, Zigaretten zu erwerben. Einhergehend damit kommen immer mehr Menschen, egal welche Altersgruppe, damit in Kontakt. Durch die leichte Zugänglichkeit wird Aufklärung über den Tabakkonsum und Prävention heutzutage immer wichtiger. Mehr dazu in unserem Podcast.
Deutschland als Sorgenkind
Im suchtmedizinischen Behandlungszentrum des Klinikum Stuttgarts werden Kurse zur Rauchentwöhnung angeboten. Simon Möller ist Suchttherapeut und leitet gemeinsam mit seiner Kollegin Lisa Friede diese Kurse. Die Wichtigkeit von Anti-Rauch-Kampagnen sei hoch, betonen die Kursleitenden, um auch mehr Aufklärung gegenüber jüngeren Menschen zu betreiben. Diese gebe es bereits in verschiedenen Formen, aber da könne noch mehr geschehen, so die Experten. Ebenso müsse Deutschland die Vermarktung und Verkaufsstellen weiter einschränken. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland tatsächlich hinterher: Sowohl bei der Prävention als auch bei strengeren Gesetzen. Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird Deutschland daher auch als eines der ,,Sorgenkinder“ weltweit genannt. Der WHO-Direktor Rüdiger Krech bemängelt die niedrigen Zigarettenpreise im Inland. Tatsächlich sind die weltweiten Preisunterschiede für eine Schachtel Zigaretten gewaltig. In Australien müssen Raucher*innen tief in die Tasche greifen und zahlen für eine Packung Zigaretten (20 Stück) fast 24 Euro. In Deutschland hingegen bezahlen sie durchschnittlich 8 Euro. Diesen Unterschied zeigt eine Statistik der weltweit größten Datenbank zu Lebenshaltungskosten, Numbeo.
Tabaksteuer nicht ausschlaggebend
„Unsere Kurse finden im vierten Stock statt. Und meistens, wenn die Leute dann hochkommen und schnaufen, dann ist das schon der Einstieg ins Thema”, berichtet Möller. ,,Weil sie sagen, ich bin doch erst Anfang 40 und nach ein paar Stockwerken ganz aus der Puste.” Durch die Kursangebote stehen die Suchtherapeuten in einem nahen Austausch mit den Betroffenen. Die Erhöhung der Tabaksteuer sehen Möller und Friede nicht als ausschlaggebendes Instrument, um Menschen vom Rauchen abzubringen. Die meisten Kursbesuchenden entscheiden sich für ein rauchfreies Leben aufgrund von Schicksalsschlägen, Erkrankungen wie zum Beispiel die Lungenkrankheit COPD, das Umfeld und die persönliche Einstellung, erklärt Friede. Die Tabaksteuer sei daher nur ein positiver Nebeneffekt.
„Unsere Kurse finden im vierten Stock statt. Und meistens wenn die Leute dann hochkommen und schnaufen, dann ist das schon der Einstieg ins Thema.“
Kritiker*innen und Gesundheitsexpert*innen fordern mehr von der Politik. Gemeinsam mit mehr als 50 weiteren Gesundheitsorganisationen hat das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ)2019 der Bundesregierung eine ,,Strategie für ein tabakfreies Deutschland bis 2040“ vorgelegt. Aufklärung und Prävention sind eine von vielen der darin enthaltenen Maßnahmen gegen das Rauchen in Deutschland. Jedoch sieht das DKFZ den Einfluss der Tabakindustrie weltweit als das größte Hindernis für eine wirksame Politik und für eine Eindämmung des Tabakkonsums. Die Bundesregierung müsse endlich stärkere Maßnahmen und striktere Gesetze erlassen.
Was die deutsche Tabakpolitik in Deutschland bereits erreicht hat, lest ihr in unserer Analyse „Tabakpolitik in Deutschland eine Zeitreise“.
Maßnahmen in Baden-Württemberg um den Tabakkonsum zu reduzieren:
- Baden-Württemberg beteiligt sich seit dem Jahr 2000 am bundesweiten Präventionsprojekt: „Be Smart – Don’t Start“.
- Zum Schutz vor Passivrauch wurde in Baden-Württemberg das Landesnichtraucherschutzgesetz (LNRSchG) am 25.07.2007 erlassen, es trat am 01.08.2007 in Kraft.
- Es wurde die Broschüre „Schwanger: ja – Rauchen: nein" entwickelt.
- Die Prävention und Gesundheitsförderung für Jugendliche durch das internetbasierte Programm feelok.de wird vom Württembergischen Landesverband für Prävention und Rehabilitation gGmbH (bwlv) koordiniert.
- 2018 hat Baden-Württemberg bei der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) einen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, ein bundesweites Rauchverbot in Autos mit Minderjährigen und Schwangeren einzuführen.
Nach 16 Jahren endlich rauchfrei
Emilia konnte durch die homöopathische Behandlung und das therapeutische Unterstützungsangebot ihre Sucht bekämpfen. Heute ist sie glücklicher denn je, denn gesundheitlich konnte sie viele Erfolge beobachten: Sowohl ihre Haare als auch ihre Haut haben sich seit der letzten Zigarette deutlich gebessert. Durch den regelmäßigen Besuch im Fitnessstudio ist Emilia viel aktiver und am Abend kommt sie endlich zur Ruhe. Am meisten freue sie sich über die viele Zeit für sich selbst, die ihr 16 Jahre lang fehlte, erzählt die Ex-Raucherin. Und natürlich über die beträchtliche Summe, die sie durch ihren Rauchstopp sparen konnte.